: Schewardnadse in Ost–Berlin
■ Der sowjetische Außenminister soll die Demokratisierungsversuche seines Vorsitzenden Gorbatschow erläutern / Weitere Gesprächspunkte waren die deutsch–deutschen Beziehungen
Berlin (taz) - Der dreitägig Besuch des sowjetischen Aussenministers Schewardnadse in Ostberlin entbehrt nicht der Pikanterie: Hatte doch das Neue Deutschland, das Zentralorgan der SED, die Rede Gorbatschows vor dem ZK–Plenum in Moskau vorige Woche abgedruckt, die Beschlüsse just dieses Gremiums jedoch nicht. Statt dessen erinnerte die SED–Führung an ihre eigenen sozialpolitischen Leistungen. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“, lautet die immer wiederholte Parole der SED, die seit Gorbatschow offensichtlich nicht mehr ins politische Bild der Führung in Ost–Berlin zu passen scheint. So wird der sowjetische Außenminister Überzeugungskraft aufwenden müssen, um die Demokratisierungsvorschläge seines Vorsitzenden und die Absicht der Partei, „die Theorie und Praxis der 30er und 40er Jahre „ zu überwinden, den Genossen in Ostberlin zu erläutern. Ob die Vorschläge, Parteigremien künftig geheim zu wählen und auch unabhängige Kandidaten in wichtige öfentliche Ämter zu hieven, bei der SED nachgeahmt wird, steht noch in den Sternen. Erwähnt wurde diesen Gesprächsthema allerdings nicht. Daß der erste Besuch des sowjetischen Außenministers in ein anderes „Bruderland“ in die DDR ging, ist wohl ein Zeichen für die Rücksichtnahme und Wertschätzung der sowjetischen Führung gegenüber der Regierung Honecker. Wichtige Punkte auf der Tagesordnung dürften auch die deutsch– deutschen Beziehungen und die Abrüstungspolitik gewesen sein. Honecker und Schewardnadse sprachen sich am Montag für die „Fortsetzung der Politik des Dialogs mit allen Kräften der Vernunft, des guten Willens und des Realismus“ aus und äußerten die Hoffnung, daß es zu einer neuen Phase der Entspannungspolitik komme. Gespräche mit Ministerpräsident Stoph und Außenminister Fischer schlossen sich am Dienstag an. er
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen