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P O R T R A I T Stasi–Chef Wolf im Ruhestand

■ DDR–Spionage–Chef Markus Johannes Wolf, genannt Mischa, wurde überraschend abgelöst / Damit ging nach mehr als dreißig Jahren eine Spionage–Ära in der DDR zu Ende

Von Benedict M. Mülder

Berlin (taz) - Selbst BRD–Spionagefreaks waren überrascht, als ADN am Donnerstag den „Verlust des wichtigsten Mannes der DDR–Staatssicherheit“ meldete. „Auf eigenen Wunsch“, so die offizielle Version, „geht Wolf in den Ruhestand.“ Bis dato wurde der fotoscheue Mischa, wie Freunde ihn nennen, noch als Nachfolger des 80jährigen Ministers Erich Mielke gehandelt. Nun blühen die Spekulationen. Ist Wolf in Ungnade gefallen, oder ist er schwer krank, wie die neuesten Nachrichten lauten? Sicher ist nur, daß ohne Moskaus langen Arm Wolfs Karriere anders verlaufen wäre. Vor 64 Jahren in Hechingen (Hohenzollern) als Sohn des Arztes und kommunistischen Schriftstellers Friedrich Wolf (“Zyankali“) geboren, emigrierte er 1933 zusammen mit den Eltern in die Sowjetunion. 1940 brach er ein Studium an der Hochschule für Flugzeugbau ab und durchlief mehrere Kurse der Komintern. Gleichzeitig erwarb er erste journalistische Sporen als Sprecher deutschsprachiger Sendungen von Radio Moskau. 1945 kam er mit einer Reihe KPD–Genossen nach Berlin und beteiligte sich maßgeblich am Aufbau des Berliner Rundfunks, dem Vorläufer des Sender Freies Berlin an der Masurenallee. Seit dieser Zeit sollen seine Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst bestanden haben. 1951 wurde Wolf Leiter beim Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung in Ost Berlin, der Keimzelle der Hauptverwaltung Aufklärung im Ministerium Staatssicherheit. Lassen wir einen westdeutschen „Einflußagenten“ des MFS zu Wort kommen. Hans Heinz Porst, Nürnberger Fotogroßhändler, beschrieb ihn so: „Wolf hatte keine Hemmungen, auf Gedanken einzugehen, die nicht zum offiziellen Repertoire gehörten.“ Daß der auch von anderen als „großer Rhetoriker“ gelobte Wolf Sakkos aus englischem Tuche vorzieht, versteht sich beinahe von selbst. Wer sonst an Wolf denkt, denkt an Guillaume und den Sturz Willi Brandts 1974, denkt an den Überläufer Tiedge sowie 3.000 bis 4.000 Spione in der „BRD“. Doch Wolf mußte auch eine Schlappe hinnehmen. 1978 wechselte einer seiner Top–Agenten, der gleichzeitig für den BND gearbeitet hatte, Werner Stiller, in die BRD über. Wolf war für westliche Dienste zweifellos eine „integrative Kraft“, meinte ein ranghoher West– Berliner Verfassungsschützer. „Doch mit Wolf“, so der VS–Mann, „steht und fällt das MFS nicht.“.

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