: Erste Schritte hin zur Einheit der PLO
■ In Algerien hat die palästinensische Union der Schriftsteller und Journalisten getagt / Erstmals seit 1983 einigten sich die Fraktionen auf eine politische Plattform
Aus Algier Marc Stein
Um ein Haar wäre alles schief gegangen. Vom Podium der Tagungsleitung aus mußte Chawfik El–Hout, der Beiruter PLO– Botschafter, die Sitzung unterbrechen. Auch nach einer viertelstündigen Pause hatten die Angehörigen der Arbeitsgruppe den kleinsten gemeinsamen Nenner noch nicht gefunden. Am zweiten Abend sollte die Sitzung der „palästinensischen Schriftsteller– und Journalistenunion“, eine von insgesamt einem Dutzend sozialer Massenorganisationen innerhalb der PLO, mit einer Plenarveranstaltung abgeschlossen werden. Die Arbeitsgruppe „Politik“ sollte bis dahin die künftige politische Plattform formuliert haben, ein erster entscheidender Schritt, um die Spaltung der PLO zu überwinden. Im „Pinienclub“, einem imposanten Kongreßzentrum nahe der algerischen Hauptstadt, lauschten am Dienstagabend der vergangenen Woche die Delegierten, palästinensische Beobachter, Vertretungen arabischer Oppositions parteien und Gesandte aus den sozialistischen Staaten den Vorträgen palästinensischer Dichter. Balladen und Gedichte, die die Spirale von Massakern und Vertreibung, neuen Massakern und neuer Verstreuung erzählen. Von Märtyrern und Waisenkindern. Bilder von individueller Einsamkeit des sinnenden Gefangenen, der sehnsüchtigen Geliebten, des kämpfenden Feddayi. Leidenschaft, die das Publikum zum Weinen bringt, feierlich und agressiv vorgetragen. Gedichte aber auch von Palästina - von Hoffnung, von Heimat und Träumen - und dem Willen, die Realität „Palästina“ zu erreichen. Romantische Hymnen an eine Gesellschaft, in der die Liebe zum Olivenbaum gleichermaßen ihren Platz hat wie der Respekt für Frauen, Christus und Mohammed, Marx und Mao. Widerspruch übertönte den Lobgesang allerdings schon beim Anblick der PLO–Vertreter: Die Mandatsträgerinnen konnten bequem an einer Hand abgezählt werden. 182 von 252 Delegierten waren angereist. Die restlichen hatten größtenteils nicht ausreisen können, weil die Behörden in Israel, Jordanien oder Syrien ihnen die Genehmigung verweigert hatten. Was einer der auch in Europa bekanntesten palästinensischen Dichter, der im Pariser Exil lebende Mahmoud Darwich, Präsident der Schriftsteller– und Journalistenvereinigung in seiner Eröffnungsrede als „Kampf um das nationale Bewußtsein“ des sechs– Millionen–Volkes bezeichnete, ist Sache palästinensischer Männer. Die Wortakrobaten der zerstrittenen Fraktionen hatten in mehreren Dialogrunden - immer wieder von Intrigen blockiert - den heiklen Schritt vorbereitet. Zum ersten Mal seit 1983 konnte man also in Öffentlicher Versammlung Vertreter der Arafat– Partei Al Fatah, der Volksfront zur Befreiung Palästinas, der Demokratischen Front, der Kommunistischen Partei, der Palästinensischen Befreiungsfront und auch Rückkehrer aus der Fatah– Dissidentengruppe des Abu Mussa sehen. Als in der betreffenden Dienstag nacht die Nachricht von Arafats Abreise die Runde machte, glaubten viele schon an einen Absturz der ganzen Veranstaltung. Nicht nur die Erwartung, die beiden wichtigsten Politiker der PLO–Opposition, PFLP–Chef George Habbash und DFLP–Chef Nayef Hawatmeh, würden sich zu einem Treffen mit Arafat einfinden, war enttäuscht worden. Die Abreise des PLO–Chefs noch vor dem offiziellen Abschluß der Sitzung galt als schlechtes Omen. Als am kommenden Morgen gar vor laufenden Kameras ein regelrechter Tumult ausbrach, wurde die Plenarsitzung vorsichtshalber abgebrochen. Palästinensische Folklore schallte jetzt erst einmal aus der Mitte des Saales. Die Arbeitsgruppe „Politik“ kochte weiter im Stillen. Zutaten und Anweisungen wurden per Telefon und Telex aus den jeweiligen Hauptquartieren der Parteien, aus Damaskus, Tunis und Baghdad geliefert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Arafat kann sich wieder als Chef einer vereinten PLO fühlen. Beim Gerangel um die Besetzung des Sekretariats der Schreibervereinigung wurde per Erweiterung der Sitze den Opposi tionsparteien zum ersten Mal die Möglichkeit eröffnet, Al Fatah, die Hausmacht Arafats, zu überstimmen. Damit konnte die Wahl der Nationalen Einheitsliste einstimmig über die Bühne gehen. In der offiziellen Schlußerklärung beherrschte Diplomatie die Sprache. Ein scharfer Angriff auf Arafats Erzfeind, den syrischen Präsidenten Assad, wurde umformuliert. Stattdessen wurde ein „besonderer Appell“ in Richtung Damaskus ausgesprochen, allen Einfluß auf die Führung der Schiitenmiliz Amal auszuüben, den Belagerungskrieg gegen die 50.000 Palästinenser in den libanesischen Flüchtlingslagern zu beenden. Offene Opposition gegen das von Arafat unterzeichnete Abkommen mit dem jordanischen König Hussein durfte sich nicht nur auf den Transparenten im Saal, sondern auch im politischen Aktionsprogramm äußern. Chawfik El–Hout nannte die Konferenz einen Erfolg: sie zeige die Bereitschaft der palästinensischen Führung zur Wiedervereinigung. Und ein Konferenzteilnehmer aus dem sozialistischen Lager erläuterte, welche praktischen Auswirkungen dies haben kann: In den vergangenen Jahren sei jegliche Unterstützung schon allein an dem Streit gescheitert, welcher Flügel der PLO denn nun als legitime Führung zu betrachten sei - Arafat oder die in Syrien ansässigen Oppositionsparteien. Dieses Hindernis ist in der vergangenen Woche mit einem demostrativen Akt aus dem Weg geräumt worden. Der Schriftsteller– und Journalistenkongreß kann getrost als Test für die Einberufung des palästinensischen Exilparlaments, des Nationalrates, gelten.
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