: Da gabs nur noch eins: besetzen
■ Seit 37 Tagen halten 800 schottische Arbeiter aus Protest gegen Schließungspläne ihr Glasgower „Caterpillar“–Werk besetzt / US–Multi will Traktorenproduktion in Billiglohnländer verlagern / 1.200 Arbeitsplätze auf der Kippe
Aus Glasgow Rolf Paasch
„Ich hätte nie gedacht, daß wir für unsere Aktion eine solche Unterstützung finden würden“. John Brannan, Betriebsrat im schottischen „Caterpillar“–Werk, ist voller Enthusiasmus über seine neue Rolle als Organisator einer Fabrik–Besetzung. Und in Eile. Um 9.00 Uhr findet sich das „Shop Steward Committee“ zu seiner täglichen Lagebesprechung zusammen. Doch vorher müssen noch die Autos für die Werbetour in die Industrieregionen von Liverpool und Birmingham organisiert werden. Brian, der Leiter des Finanzausschusses, will wissen, wohin mit den gestern gesammelten Spendengeldern. Und auch der Benefiz–Auftritt eines bekannten schottischen Kabarettisten muß vorbereitet werden. Was er denn mit den immer noch eintreffenden Solidaritätsbezeugungen anfangen solle, fragt ein anderer. Die Wand des langen Korridors, in dem an diesem Morgen so geschäftiges Treiben herrscht, ist völlig zugeklebt: von Arbeitslosen über Gewerkschafts–Kollegen bis zu den Abgeordneten aller Parteien, sogar der Tories, reichen die Sympathiebekundungen. Nur in der riesigen Fabrikhalle herrscht ungewohnte Stille. Blankgewienerte Raupenfahrzeuge der Klasse „DH6“ warten ebenso vergeblich auf ihren Abtransport wie die gerade neuinstallierte und robotergesteuerte Fertigungsstraße auf ihre Inbetriebnahme. Die sollte nicht mehr sein. Dabei war Schottland–Minister Malcolm Rifkind im letzten September noch stolz mit einem der Raupenfahrzeuge durch die Halle gekurvt, um „das Werk mit Zukunft“ zu feiern. Das Management der amerikanischen „Caterpillar Tractor Company“ hatte gerade ein Investitionsprogramm von 62 Mio. Pfund (180 Mio. DM) verkündet. „Wir dachten“, so der Maschinist Kevin Oshea, „unsere Jobs seien für die nächsten zehn Jahre sicher. Viele von uns haben Kredite aufgenommen, um ihre Sozialwohnung oder ein neues Auto zu kaufen.“ Vier Monate später, am 14. Januar, traf dann die Hiobsbotschaft ein. Caterpillar verkündete die Schließung des Glasgower Werkes und damit die Vernichtung von 1.200 Arbeitsplätzen. „Da gabs für uns nur eins“, erzählt Kevin, „Besetzen“. Und um ihrem Arbeitswillen auch symbolischen Ausdruck zu verleihen, produzierten die 1.200 Arbeiter in eigener Regie noch die letzte „Cat“ fertig, strichen sie statt gelb rosarot, parkten sie vor dem Fabrikeingang - ein eigenwilliges Mahnmal. Die Arbeiter des Glasgower Vororts Uddingston sind Opfer einer weltweiten Umstrukturierung des Konzerns. Vom Bau dreier neuer Werke in den Billiglohnländern Indien, Malaysia und Süd– Korea erhoffen sich die Planer im Firmen– Hauptquartier von Illinois den Rückgewinn verlorener Marktanteile. Und weil man das US–Werk in Davenport nicht schließen wollte, fiel die Rationalisierungs–Wahl eben auf Uddingston, profitabel oder nicht. Um auf den Konzern auch internationalen Druck auszuüben, schickten die rund 800 Besetzer auf Vermittlung linker Europaparlamentarier in der vergangenen Woche eine Delegation nach Brüssel. Dort trafen diese mit Vertretern der übrigen europäischen Caterpillar–Werke zusammen, die ihnen versprachen, ihre Belegschaften in Belgien, Frankreich und England würden keinen der aus Schottland transferierten Arbeitsgänge ausführen. „Die haben uns unterstützt, weil sie sonst als nächste an der Reihe sind“, erklärt John Brannan den seltenen Akt internationaler Gewerkschaftskooperation. Trotz ihrer Exkursion nach Brüssel verstehen die meisten Arbeiter ihren Protest jedoch als völlig unpolitischen Akt. „Dies ist eine ganz pragmatische Protestaktion, mit Politik hat das überhaupt nichts zu tun“, sagt John Brannan. Und Kevin pflichtet ihm bei: „Die Thatcher kann wegen mir ja sonst krepieren, aber in unserem Fall nehme ich sogar ihre Unterstützung an.“ So hält sich denn in den Fluren das Gerücht von einem Schreiben der Premierministerin an die Caterpillar–Führung in den USA. Ein Blick in örtliche Jobcenter von Uddingston: eine handvoll Stellenangebote, meist Teilzeitjobs, zu Stundenlöhnen zwischen 3,80 DM und 7 DM hängen verloren an den Anschlagbrettern. Sollte Caterpillar wirklich schließen, dann wäre der Großteil der Arbeiter für den Rest ihres Lebens „on the dole“. Auch weitere Zulieferbetriebe müßten schließen, die Arbeitslosigkeit in diesem Abschnitt des südschottischen Industriegürtels stiege auf über 50% an. Und sich auf Jobsuche in den Süden Englands begeben? Kevin lacht. „Bei den endlosen Wartelisten für Sozialwohnungen und den überhöhten Hauspreisen im Süden?“ „Und außerdem bin ich Schotte“, fügt Brian hinzu. „Was soll ich denn da unten“? Dennoch versuchen es einige. Die größte Gruppe unter den Obdachlosen Londons sind Schotten aus Orten wie Uddingston. Wie lange sie die Besetzung durchhalten könnten? „Weißt du“, sagt Kevin Ochea, „vor zwei Jahren haben wir zwei Monate gestreikt und am Ende eine einprozentige Lohnerhöhung rausgekriegt; da kannst du dir ja ausrechnen, wie lange wir für unseren Job kämpfen werden.“
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