: Ein Jahr Verdunkelung im Palme–Mordfall
■ Angesichts ausbleibender Fahndungserfolge nach dem Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten blühen die Spekulationen / Waren es rechtsextreme Polizisten oder Sicherheitspolizei, hat vielleicht der Waffenhersteller Bofors damit zu tun?
Von Christoph Neidhart
Stockholm (taz) - „Heute sind wir wieder bei Null“, seufzt ein Polizeireporter in Stockholm, just ein Jahr nachdem Olof Palme in Stockholm ermordet worden ist. Die Leibwächter hatte Palme an jenem Freitag abend nach Hause geschickt und sich dann kurzfristig entschieden, ins Kino zu gehen. So konnte außer der Familie und womöglich seiner Vertrauten - oder, wie britische Zeitungen spekulieren: Geliebten - Emma Rothschild niemand wissen, wo Palme steckte. Es sei denn, jemand wäre ihm gefolgt. „Jetzt ist Olof Palme tot“, sagte ein offensichtlich falsch verbundener Anrufer um 23.35 Uhr am Telefon zu einem älteren Mann, noch bevor über Polizeifunk gemeldet wurde, um wen es sich beim Mordopfer vom Sveavägen handelte. Und über eine Geheimnummer der schwedischen Botschaft in Bonn teilte ein „Kommando Christian Klar“ wörtlich auf deutsch dem Handelsattache mit: „Wir haben soeben Ihren Ministerpräsidenten ermordet.“ Was Terroristen in dieser Form so nie sagen würden, weil sie „hinrichten“ und nicht „ermorden“. Wollte da jemand eine falsche Spur legen? Das wäre wohl gar nicht nötig gewesen, denn die Fahndung entpuppte sich als eine Kette von Pannen. Ein zwölf Tage nach dem Mord festgenommener Rechtsextremist mußte aus Mangel an Indizien wieder freigelassen werden. Seither wurde spekuliert: die CIA, der KGB, der chilenische oder der israelische Geheimdienst, die Iraner, japanische, deutsche, italienische Terroristen und immer wieder: die Kurden waren die Täter. Hauptsache die Verdächtigten sind Ausländer und keine Schwesen. Nach einer erfolglosen Razzia bei Mitgliedern der kurdischen Arbeiterpartei PKK Mitte Januar mußte Hans Holmer seinen Posten als Fahndungschef aufgeben. Schwedens unabhängige Köpfe diskutieren jedoch auch andere Mordtheorien. Sechs Minuten nach dem Mord saß ein Fernsehproduzent im Stockholmer Bus Nummer 43. Am Birger Jarls Gatan, dort, wo die Fluchtspur abreißt, etwa fünf Minuten vom Tatort entfernt, stieg ein Mann in den Bus, blieb auf der Treppenstufe stehen, musterte konzentriert die Fahrgäste - und sprang wieder runter. Das Verhalten fiel dem Fernsehproduzenten wie auch dem Busfahrer auf. Zwei Tage später meldete sich bei der Expressen–Redaktion per Telefon ein Mann, der sich als Polizist ausgab, ohne seinen Namen zu nennen. Er sagte, man müsse den Mörder in einer für ihre Gewalt berüchtigten Polizeitruppe des Stadtteils Norrmalm suchen. Der Fernsehmann hörte davon und machte sich, zusammen mit einem Expressen–Reporter, auf die Suche nach den übelsten Polizeibe amten jener Einheit. Und erkannte den Mann vom Bus, vier Tage nach dem Mord, wieder. Hans Holmer jedoch stand, als der Mann ihm die Geschichte erzählte, wortlos auf und verließ den Raum. Stammte doch einer seiner Leibwächter aus jener Truppe. Diese Untersuchung lief „auf Sparflamme“ und wurde schließ lich - „aus Mangel an Beweisen“, so ein Inspektor - wieder fallengelassen. Nach einer weiteren These könnten innerhalb der Sicherheitspolizei SÄPO konspirative Seilschaften entstanden sein. Für solche „Freibeuter“–Gruppen, die es früher schon gegeben haben soll, wäre Olof Palme das Symbol für eine Politik der Schwäche, da er mit den Sowjets, die doch nur die Sprache der Gewalt verstünden, reden wollte. Im Gegensatz zu den Kurden hätten die Mörder in diesem Fall ein Motiv: die vermeintliche Sicherheit Schwedens. Unterdessen ereignete sich möglicherweise ein weiterer Mord: Am 15. Januar stürzte der 61jährige Konteradmiral a.D. Carl Fredrik Algernon in Stockholm vor eine einfahrende U– Bahn. Selbstmord, hieß es zuerst. Oder ein Unfall? Algernon gehörte zehn Jahre lang den militärischen Nachrichtendiensten an und wurde, nachdem er zurücktrat, Kriegsmaterialinspektor, zuständig für die Bewilligung von Waffenausfuhren. Unter Palme hatte sich das schwedische Verteidigungsbudget binnen zehn Jahren um die Hälfte verringert. Zwar billigte er heikle Waffenausfuhren, an Indien zum Beispiel. Dennoch war er ein Abrüster. Mit Algernon starb nach Palme jetzt noch einer, der die Rüstungsindustrie und die Militärs in ihren Aktivitäten bremste, eines gewaltsamen Todes - die Schlüsselfigur einer Untersuchung illegaler Waffenausfuhren der Firma Bofors in den Mittleren Osten. Es gibt Hinweise darauf, daß sowohl Palme als auch Algernon über geheime Informationen in diesem Zusammenhang verfügten. Offiziell wird freilich über eine Verbindung zwischen den beiden Morden - noch - nicht spekuliert.
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