: Licht am Ende des Tunnels
■ Profit versus Sicherheit im Ärmelkanal / Die Fährkatastrophe bringt dem krisengeschüttelten Tunnelprojekt neuen Aufwind
Aus London Rolf Paasch
„Ist sich die Premierministerin dessen bewußt, daß die Fährkatastrophe von Zeebrügge nur eine logische Folge des von ihr propagierten Volkskapitalismus darstellt, in dem die Sicherheit häufig dem Profitmotiv untergeordnet bleibt“, wollte ein Labour–Abgeordneter am Dienstag in der Fragestunde des britischen Unterhauses wissen. „Das ehrenwerte Mitglied des Hauses redet absoluten Schwachsinn“, gab die Eiserne Lady zurück. „Und er weiß es.“ Dabei müßte Frau Thatcher auf der anderen Seite ebenso wissen, daß der Zusammenhang zwischen konservativer Marktphilosophie und der jüngsten Schiffskatastrophe im Ärmelkanal über den Namen der Unglücksfähre hinausgeht. Das Kentern der „Botin des freien Wettbewerbs“ vor der belgischen Küste hat jedenfalls die Debatte um die beste, billigste und sicherste Transportroute auf die britischen Inseln wieder neu belebt. Dabei sah es bis vor kurzem so aus, als könnte das Projekt des „Eurotunnels“ zwischen Großbritannien und Frankreich bereits scheitern, bevor die Briten überhaupt zum Spaten gegriffen hätten. Was Umweltschützer an der Küste Kents mit ihren 4.000 Petitionen gegen das Tunnelprojekt nicht erreicht hatten, daß hätte eine kleine Gruppe einflußreicher Börsianer im Oktober beinahe durch Nichtstun bewirkt. Nur mit Mühe brachte eine investitionsunlustige Londoner City die 206 Mio. Pfund (rund 600 Mio. DM für die erste Aktien–Emission der Kanaltunnel–Gesellschaft auf. Maggie hatte sich den Bau ihres Mausoleums allerdings auch un nötig schwer gemacht, hatte sie doch aus rein dogmatischem Starrsinn auf einer rein privaten Finanzierung des fünf Mrd.– Pfund–Projektes bestanden. Doch ganz ohne den Staat ging es dann doch nicht. Als in den vergangenen Monaten mehrere Aufsichtsräte und Eurotunnel–Chef Lord Pennock das Wahnsinnsprojekt verließen wie die Ratten das sinkende Schiff, übte die Regierung Druck auf die völlig unabhängige „Bank of England“ aus: Sie sollte den Bankiers ihren Investitions– Unwillen austreiben und neue fähige Manager in den Aufsichtsrat des Channel–Projektes locken. Bei der nächsten Aktien–Emission im Juli, wenn zwei Milliarden DM Aktienkapital nötig sind, darf nämlich nichts schief gehen. Ein weiteres Problem für die britischen Möchtegern–Maulwürfe stellte die überaus erfolgreiche Fähr–Lobby dar. „Flexilink“, die Interessengemeinschaft der Fähr–Reedereien, schickte seit Monaten Sicherheitsexperten durch die Lande, um auf die ungenügenden und ungerechten Sicherheitsbestimmungen für die Tunnelbauer hinzuweisen. Während die Fährpassagiere ihre Fahrzeuge aufgrund der Feuergefahr während der Überfahrt verlassen müssen, sollen die Tunneltouristen bei der Unterquerung des Kanals in ihren Fahrzeugen bleiben dürfen. „Ein unverantwortliches Sicherheitsrisiko“, so Ken Cameron von der Feuerwehrgewerk schaft. Im Falle eines Feuers reichten da auch die Fluchtwege in den nebenanliegenden Sicherheitstunnel nicht aus, argumentierte die Fährlobby um ihr wirtschaftliches Überleben. Denn um den „Channel“ in ein profitables Unternehmen zu verwandeln, müßten 74 die Fährindustrie bedeuten würde. Schien Flexilink mit ihrer Kampagne gerade den psychologischen Wettbewerb um die beste Kanal–Überquerung zu gewinnen, so hat das Desaster mit seinen 140 Todesopfern den Tunnelapologeten plötzlich neuen Auftrieb gegeben. Mit dem Sicherheitsargument können die Reeder jedenfalls für die nächste Zeit nicht mehr kommen. Die Fährindustrie befindet sich allerdings nicht nur wegen der unter ihr hängenden Drohung mit dem Kanaltunnel in Schwierigkeiten. Schlechte Publicity durch Streiks, kotzende und randalierende Fußball–Hooligans haben bei einem nur noch gering ansteigenden Passagieraufkommen zu einer Verschärfung des Wettbewerbs geführt. Die Unglücksfähre des Marktführers „Townsend Thoresen“ gehört dabei zur P&O Gruppe, die rund 52 Marktanteils besitzt. Härtester Konkurrenz sind die 1984 privatisierten „Sealink Ferries“, die jetzt zur auf den Bermudas angesiedelten Gruppe „Sea Containers“ gehören. Dem Versuch dieser beiden Marktführer, sich im Kampf um die jährlich 24 Mio. Passagiere, 2,5 Mio. PKW und 1,5 Mio. LKW gegen den Tunnel zu vereinen, schob die britische Monopolkommission im letzten Jahr einen Rie gel vor. Stattdessen versuchen es die Reedereien nun mit einer aggressiven Preispolitik, und wie das Unglück zeigt, mit nachlässigem Operieren der Schiffe. „Da werden die Schiffsmannschaften durch Druck von oben häufig zur Eile und zu Überstunden getrieben“, weiß Brian Neal, der 20 Jahre als Lotse arbeitete, zu berichten. Einige der Fähren operieren zwischen Dover und Calais bis zu zehnmal täglich. Es wird der Untersuchungskommission vorbehalten bleiben, eventuelle Fahrlässigkeiten auf der „Herald of Free Enterprise“ herauszufinden. Sollten die Gutachter allerdings bei den „Roll on roll off–Fähren“ grundsätzliche Designfehler feststellen, dann müßte P&O nicht nur 15 seiner 22 Fähren umrüsten; dann wäre auch die für dieses Jahr vorgesehene Inbetriebnahme der neuen Superfähren in Frage gestellt, die derzeit noch in den Trockendocks von Bremerhaven liegen. Die 85 Mio. teuren 20.000 Tonnen–Pötte beruhen nämlich auf dem gleichen Design, das vor dem Hafen von Zeebrügge in Minutenschnelle absoff. Kein Wunder, daß gerade in Dover, wo man sich von den neuen Superfähren eine Belebung des Geschäfts erhofft hatte, die Bestürzung über das Unglück groß war. Viele Bewohner der allein vom Fährbetrieb lebenden Stadt befürchten nun, daß das tragische Schicksal der „Herald of Free Enterprise“ dem bisher umstrittenen „Channel“ zu neuem Leben verholfen haben könnte. Auch Richard Hasmal, Marktanalytiker der Börsenfirma Philipps & Drew glaubt, daß die Schiffskatastrophe den politischen Druck, denn Tunnel zu bauen, erhöht hat. „Letztendlich“, so schränkt er jedoch ein, „wird der Markt über den Bau des Tunnels entscheiden.“ Die „Botin des freien Wettbewerbs“ mag zwar vor Zeebrügge gekentert sein, der „Geist des freien Wettbwerbs“ ist jedoch, wie man sieht, ebenso unverwüstlich wie das gleichnamige Schwester– Schiff der Unglücks–Fähre, das unbeirrt und mehrmals täglich zwischen Dover und Zeebrügge hin– und herschwimmt. Buchtip
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen