: Rechter Psychoterror gegen Zeugen
■ Mit massiven Drohungen versuchen Neonazis vier Zeugen einzuschüchtern
Mit einer in der bundesdeutschen Justizgeschichte beispiellosen Einschüchterungskampagne versuchen zwei Neonazis seit 1 1/2 Jahren, vier Zeugen - alle Mitglieder der Grünen in Speyer - von einer Zeugenaussage gegen sie abzubringen. Den Neonazis wird die Verwendung von „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ vorgeworfen. Aus Sicherheitsgründen wurde der heute beginnende Prozeß bereits zweimal vertagt.
Wenn Edeltraud Schweikert– Schneider und Torsten Wedell mit zwei weiteren Bekannten heute zum Amtsgericht Speyer gehen, begleiten sie zahlreiche Freundinnen und Freunde. Das hat einen besonderen Grund. Die vier grünen Kommunalpolitiker sind als Zeugen in einem Prozeß gegen zwei Neonazis geladen. Seit Beginn der Ermittlungsverfahren gegen die Rechtsradikalen im Frühjahr 84, werden sie von diesen mit einem beispiellosen Psychoterror überzogen. Das führte dazu, daß das Gericht den bereits terminierten Prozeßbeginn im Januar auf den heutigen Mittwoch verschob. Amtsrichter Rampf kapitulierte, weil er die Sicherheit für Gericht, Angeklagte und Zeugen nicht gewährleistet sah. Seine Überlegung: die drei Justizwachtmeister, über die das Amtsgericht Speyer verfügt, seien bei einem Aufeinandertreffen der beiden Parteien überfordert. Für den Prozeß hat er jetzt ganze zwei zusätzliche Beamte beordert. „Das war eigentlich ein Verfahren wie jedes andere“, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Taglieber gegenüber der taz. Als jedoch die Angeklagten mit Telefonanrufen, Postkarten und Briefen die Zeugen bedrohten, änderte sich das allmählich. Niemand nahm die Drohungen zunächst so richtig ernst. Doch nach den ersten Drohbriefen passierte dann mehr. Morddrohung gegen Zeugen Zeitweise wurde Edeltraud Schweikert–Schneider aus PKws heraus observiert. Einmal klingelten nachmittags drei schwarzledern bekleidete Männer mit stilisierten Hakenkreuzen auf den Jacken an ihrer Tür. Nachdem die 37jährige Frau sich erst durch das Fenster vergewissert hatte, mit wem sie es zu tun hatte, öffnete sie nicht. Am 23. Januar erreichte sie dann ein Telefonanruf, in dem ihr der unbekannte Anrufer mitteilte, man wüßte, wo ihr Sohn in Mannheim zur Schule gehe. „Wir haben dort Kumpels, die werden sich um ihn kümmern.“ Seitdem wird der Sohn nur noch im Auto zur Schule gefahren und auch wieder dort abgeholt. Das Grundstück der Familie leuchtet nachts ein 500–Watt– Scheinwerfer aus. Auch das hat seinen Grund. Denn eines Tages zerschlugen ebenfalls Unbekannte die Scheiben des auf dem Grundstück abgestellten PKWs von Edeltraud Schweikert– Schneider. Die beiden Angeklagten Jürgen Knopf aus Rauenberg bei Heidelberg und Kurt Müller aus Mainz wird die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Beide sind in der Neonazi–Szene keine unbekannten Figuren. Der etwas untersetzte, kleinwüchsige Knopf mit Hitler–Bärtchen und der dazu passenden Frisur gehört seit Jahren zur Szene um den derzeit inhaftierten Top–Mann der Neonazis, Michael Kühnen. Knopf war bei der inzwischen verbotenen Kühnen–Truppe, der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS)“ mit von der Partie und gehört zum harten Kern der Neonazis. Kurt Franz Müller ist der Sohn des rechtsradikalen Gärtnerei– Meisters Curt Müller aus Mainz. Die Gärtnerei des alten Nazis in Mainz–Gonsenheim ist alljährlich Wallfahrtsort der gesamten Neonazi–Szene. Dort treffen sich Neonazis aus dem In– und Ausland mal um den Geburtstag des „Führers“ oder die Sonnenwende zu feiern. Curt Müller, den Verfassungsschützer als einen der „fanatischsten Neonazis der Bundesrepublik“ charakterisieren, verbüßte bereits mehrere Haftstrafen, u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Aufstachelung zum Rassenhaß. Sohn Kurt und Ehefrau Ursula sind ebenfalls einschlägig vorbestraft. Alle drei üben großen Einfluß auf die rechtsextremistischen Szene aus. Die beiden Angeklagten gehören zu den engsten Vertrauten des BASF–Chemielaboranten Ernst Tag, der mittelerweile die zweite zentrale Anlaufstelle der Neonazis im pfälzischen Örtchen Weidenthal institutionalisiert hat. In Tags „Schulungsbrief“ der rechtsradikalen „Grünen Aktion Deutschlands“ (GAD) veröffentlichten die Angeklagten auch die Namen und Adressen der Grünen, die als Zeugen gegen sie auftreten müssen. Die Justiz ließ sich mal wieder Zeit Mehr als drei Jahre dauerten die Ermittlungen gegen die Rechtsradikalen. Am 25. Februar 1984 trafen sich in der Speyrer Gaststätte „Stadt Nürnberg“ rund 150 Neonazis aus der BRD, Belgien, Frankreich und Holland zu einer gemeinsamen Veranstaltung von ANS und der „Hilfsgemeinschaft Nationaler Gefangener“ (HNG). Zahlreiche Gegendemonstranten, unter ihnen die vier Zeugen, sammeln sich an diesem Tag vor dem Lokal und protestieren gegen das Treffen. Die Reaktionen der Neonazis: Sie singen das Horst– Wessel–Lied, rufen „Judensau“ und „Judenschweine“ und recken die Arme zum stilisierten Hitlergruß. „Euch hat man vergessen zu vergasen“, brüllen die Neonazis. Doch in der Anklageschrift findet sich nichts davon wieder. Die Hetzparolen lassen sich, so Oberstaatsanwalt Klaus Taglieber, „nicht beweisen“. Taglieber hatte zunächst gegen zahlreiche Neonazis ermittelt. Übrig blieben jedoch nur Knopf und Müller Jun.. Das Verfahren Gegen Markus Mössle stellte die Staatsanwaltschaft Frankenthal ein, weil die zu erwartende Strafe im Hinblick auf eine Verurteilung wegen eines Banküberfalls „nicht ins Gewicht fallen“ werde. Absender Jürgen Knopf Zwei weitere Ermittlungsverfahren gegen die ebenfalls bekannten Neonazis Alexander Reuter und Till Schanzmann wurden an die Frankfurter Staatsanwalt schaft abgegeben und dort unter den Akt.–Z. 50 Js 17348/85 und 50 Js 21554/84 geführt. Während sich zu den Drohanrufen und dem beschädigten Fahrzeug niemand erklärte, waren die Drohbriefe und Postkarten mit einschlägigen Parolen und dem Absender versehen. Jürgen Knopf, Rosenstraße 15, 6909 Rauenberg, Stadtteil Malschenberg zeichnete jedesmal verantwortlich. Seit Oktober 1985 betreiben Knopf und Konsorten die Einschüchterungsattacken auf die Zeugen. Begonnen hatte es mit einem Brief, auf dessen Umschlagrückseite Deutschland in den Grenzen von 1928 abgebildet war. Inhalt des Schreibens: Propagandamaterial der Neonazis. Am 25.Okt. 85 folgte eine Postkarte mit einer Abbildung der KZ–Gedenkstätte Dachau. Der handschriftliche Text dazu: „Seit mehreren Jahren werde ich aus politischen Gründen, weil ich überzeugter nationaler Sozialist bin, verfolgt und von dieser brd zur Kasse gebeten! Bis jetzt sind es 5000 DM. Übrigens bin ich zur zeit arbeitslos und bekomme seit April dieses Jahres keinen einzigen Pfennig!!! Ich werde Eure Aussagen gegen mich auf gar keinen Fall verzeihen oder vergessen!!!“ Absender: Jürgen Knopf. „Das nächste Mal melden sich die Neonazis im Okt. 86 mit dem oben erwähnten Tagschen „Schulungsbrief“, der die Adresse der Zeugen enthält. Einen Tag später wird die Windschutzscheibe des PKWs der Familie Schweikert– Schneider zerschlagen. Zwei Tage später wird der Prozeßtermin aufgehoben und auf den 28. Januar 87 verlegt. Fünf Tage vor dem neuen Termin erreichte Edeltraud Schweikert–Schneider dann der oben erwähnte Drohanruf. Zum zweiten Mal verschiebt sich der Prozeß. Mittlerweile haben die vier Zeugen „richtig Angst“. Seit Tagen wohnt die Familie Schweikert–Schneider nicht mehr allein in ihrem Haus. Einige Freunde sind sozusagen als Beistand vorübergehend zu ihnen gezogen. Für die Bedrohten ist es ein „wichtiges Stück Solidarität“. Die Staatsanwaltschaft Frankenthal hat jetzt eine weitere Anklage nachgeschoben, wie Taglieber gegenüber der taz bestätigte. Wegen versuchter Bedrohung und versuchter Nötigung der Zeugen sollen sich die beiden Neonazis ebenfalls verantworten. Max Holz
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