: Stahlharte Demos an der Ruhr
■ 60.000 protestierten in Oberhausen und Hattingen gegen die Zerstörung von Arbeitsplätzen / In Oberhausen waren alle Ämter dicht / Steinkühler fordert von Stahlkonzernen grundlegende Änderungen
Von P. Bornhöft u. C. Kawaters
Oberhausen/Hattingen (taz) - Schon Stunden vor Beginn der Kundgebung waren sämtliche Zufahrtsstraßen nach Oberhausen verstopft. Aus allen Stahlstandorten fuhren Gewerkschaftsdelegationen zur „Wiege der Ruhrindustrie“, um gegen den von der IG Metall befürchteten Abbau von insgesamt rund 30.000 Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie zu demonstrieren. In Oberhausen reagiert nahezu die gesamte Stadt erbost auf die Ankündigung des Thyssen–Konzerns, drei Viertel der 4.000 Arbeitsplätze bis Ende 1988 zu streichen. Der 51jährige Stahlwerker Horst Feuerstacke führt in voller Arbeitsmontur den Demonstrationszug der 20.000 an, Mitarbeiter des Arbeitsamtes schließen sich der Demo an. Auch das Sozialamt, das schon jetzt 11.000 Sozialhilfeempfänger zu betreuen hat, ist heute dicht, ebenso die anderen Dienststellen der Stadt. 10.000 Menschen, vom Tierschutzverband, Hausfrauenverein, aus Kaufhäusern und Handwerksbetrieben, haben sich vor dem Hauptbahnhof versammelt. Der Einzelhandelsverband erklärt sich solidarisch, ebenso Tausende Schüler. Das angekündigte Läuten der Kirchenglocken ist zwar nicht zu hören, doch zwei Redner der evangelischen und katholischen Kirche bestätigen diese ungewöhnliche Aktion. Scharfe Worte richtet IG Metall–Chef Franz Steinkühler an Bonn. Die Bundesregierung müsse „eine politische Garantie für den Erhalt der nationalen Standorte geben“. Außerdem setze die Gewerkschaft auf Unterstützung des Landes NRW für ein regionales Beschäftigungsprogramm im Ruhrgebiet. In Hattingen faßte der Rathausplatz kaum die 30.000 Kundgebungsteilnehmer, die sich mit den Stahlarbeitern der Henrichshütte solidarisch erklärten. Bis Ende 1988 will die Thyssen Stahl AG im Hattinger Stahlwerk 2.900 Menschen entlassen. Für die Stadt würde sich die Arbeitslosenquote von derzeit 14,9 Prozent dann verdoppeln. Diese Aussichten bringen daher nicht nur die betroffenen Hüttenarbeiter und ihre Familien auf den Plan. Von der Schornsteinfegerinnung über Hattinger KFZ–Händler, die mit eigenem Transparent erschienen waren, Beamte des Hattinger Finanzamtes, die sich amtlich–kurz „pro Hütte“ äußerten, bis zur Sängervereinigung, die Liedbeiträge brachte, waren sich im strömenden Schneeregen alle einig: Die Hütte muß bleiben. Zur größten IGM–Kundgebung, die Hattingen je gesehen hat, stießen auch Delegationen und Grußadressen von Flensburg bis Ulm, Werftarbeiter und die „Blechverarbeiter des Siegerlandes“, die als Kunden der Henrichshütte um ihren Zulieferbetrieb fürchten. Der IGM–Bevollmächtigte König warnte: „Wenn es an der Ruhr brennt, wird das Wasser des Rheins nicht ausreichen, um das Feuer zu löschen.“ G A S T K O M M E N T A R E
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