Serie das Auto im Jahre 101: Reiz des Autos ist perdu
■ Freiheitsgefühl und Geschwindigkeitsrausch nur eine Fiktion / Oldtimerfaible ist mehr als Nostalgie
Ivan Illich stellte in seinem autokritischen Buch „Fortschrittsmythen“ fest: „Menschen, die nur zu Fuß gehen, bewegen sich spontan mit einer Geschwindigkeit von 4 bis 6 km/h in jede Richtung und an jeden Ort, soweit ihnen dies nicht rechtlich oder physisch verwehrt ist.“ Illich fährt fort: „Von einer Verbesserung dieser ursprünglichen Mobilität durch eine neue Transporttechnik sollte man erwarten, daß sie diesen Grad der Effizienz sowohl bewahrt als auch um neue Qualitäten bereichert - etwa größere Reichweite, Zeitersparnis, Bequemlichkeit oder bessere Chancen für Behinderte.“ Zwar denkt Illich bei dieser „neuen Transporttechnik“ an das Fahrrad, doch viel mehr treffen seine Kriterien für das Auto zu. Wenn wir Verkehrsregeln, Staus usw. zunächst einmal ausklammern, ist das Auto tatsächlich fast genauso beweglich wie das Fahrrad oder wie der Mensch zu Fuß. Verglichen damit schneiden die öffentlichen Verkehrsmittel schlecht ab. Durch ihre Technik bedingt müssen Bahn und Flugzeug weniger flexibel sein als das Auto. Der als Fahrgast „verfrachtete Mensch“ könne nicht mehr „wandern, wandeln oder spazieren, bummeln, laufen oder auch nur marschieren und schon gar nicht schlendern, pilgern oder vagabundieren“, so Illich. Die Bahn trans portiert uns sicher und bequem von A nach B, mit dem Auto kann man „spazierenfahren“, „eine Tour machen“, Begriffe, die auf die Ähnlichkeit zum Laufen oder Radfahren verweisen. Dies ist der wahre Kern der falschen Ideologie, das Auto mache freier: Es schränkt durch seine Konstruktion die Beweglichkeit des Menschen kaum ein, befreit aber von biologischen Fesseln, indem es die Bewegung ermüdungsfrei und schnell macht. Doch leider verliert das Auto diese Möglichkeiten weitgehend im Masseneinsatz. Es kann im Alltag nicht halten, was es technisch und in der Werbung verspricht. Verantwortlich dafür ist niemand anderes als das Auto selbst; durch die übergroße Zahl blockieren sich die Autos gegenseitig. Selbst in autogerechten, von Schnellstraßen durchfurchten Städten kommt es immer wieder zu Staus. Wer sich im Schrittempo durch stinkende Straßen schiebt oder endlos einen Parkplatz sucht, spricht nicht mehr über Freiheit und Autofaszination. Doch auch auf der Autobahn, wo der freie Bürger angeblich freie Fahrt hat, ist der Autofahrer weitgehend eingeschränkt. Zwischen Leitplanken eingezwängt kann er offensichtlich die Richtung nur grob selbst bestimmen. Er kann nicht mal nach Lust und Laune die Fahrt unterbrechen, um etwas Interessantes zu betrachten. Sein ganzes Verhalten ist hauptsächlich durch die anderen Autofahrer um ihn herum extrem reglementiert. Im Grunde ähnelt das Autobahnfahren dem Zugfahren, eine gleichmäßig fließende Bewegung in einer festgelegten Richtung, die von periodischen Stopps unterbrochen wird. Eine letzte Freiheit ist dem Autobahnfahrer freilich geblieben. Sollte einmal weniger Verkehr sein, kann er so schnell fahren wie er will, sich dem Rausch der Geschwindigkeit hingeben. Doch auch damit ist es nicht mehr weit her. Sich mit hoher Geschwindigkeit zu bewegen kann zwar zweifellos rauschhafte Erlebnisse hervorrufen. Der Körper scheint die Gesetze von Schwerkraft und Trägheit zu überwinden. „Nur Fliegen ist schöner“, wie es in einer Sportwagenreklame der sechziger Jahre hieß. Gute Skiläufer wissen dies ebenso wie Windsurfer oder Motorradfahrer. Diese Beispiele machen aber schon deutlich, daß die absolute Höhe des Tempos vergleichsweise unbedeutend für das Rauscherlebnis ist. Es kommt darauf an, daß die Geschwindigkeit hautnah erfahrbar bleibt. 900 km/h im Jumbo sind nicht besonders erregend, weil man nichts davon spürt. Ähnlich ist es auf der Autobahn. Berge werden abgetragen und Wälder abgeholzt, nur damit die Fahrbahn flach und grade wird und mühelos hohe Geschwindigkeiten ermöglicht. Die Konstrukteure legen ihren ganzen Ehrgeiz in die Entwicklung von Autos, die leise und unmerklich hohes Tempo ermöglichen. Die Folge ist freilich, daß autobahnfahren, egal mit welcher Geschwindigkeit und mit welchem Auto, stets monoton und stumpfsinnig ist. Wenn überhaupt auf der Autobahn so schnell gefahren wird, hat dies nichts mehr mit Geschwindigkeitsrausch zu tun. Es ist nur der schlichte Wunsch, eine langweilige Situation möglichst abzukürzen. Die Zukunft ist düster. Autozeitschriften versuchen, ihren Lesern die geplanten elektronischen Leitsysteme schmackhaft zu machen. Sie sollen den Abstand zum Vorausfahrenden regeln und das Fahrzeug selbständig in der Spur halten. Dem Fahrer ist dann auch noch das letzte bißchen Freiheit mit Gas und Lenkrad genommen. Er braucht gar nichts mehr zu tun und kann Zeitung lesen, wie die Konstrukteure dieser Systeme begeistert berichten. Warum sollte er dann nicht gleich den Zug nehmen, wo es ja nun doch um einiges bequemer ist? Mit der ursprünglichen Quelle der Autobegeisterung, der Freude am Fahren, ist es vorbei. Bleibt die Flucht in ferne Länder, wo es kaum Autos und noch weniger asphaltierte Straßen gibt. Hunderttausende bewerben sich um die Teilnahme an der „Marlboro–Tour“ und das populärste Autorennen ist die Rallye Paris–Dakar geworden. Wer nicht teilnehmen kann, hat neuerdings wenigstens die Chance, im geländegängigen Passat ins Büro zu rollen, denn jede Autofirma mußte in den letzten Jahren völlig überflüssige Allradantriebe für ihre Standardmodelle entwickeln. Allein Mercedes gab 200 Mio DM für die Konstruktion aus. Der Käufer wollte es. Billiger ist der nostalgische Blick in die Vergangenheit. Oldtimerzeitungen erleben ungeahnte Auflagenhöhen. Immer häufiger sieht man auf den Straßen mit viel Zeit wiederbelebte Autos aus den Fünfzigern, die sich dort mehr schlecht als recht vorwärtsbewegen. Reminiszenzen an die gute alte Zeit, in der das Fahren noch Spaß machte. Liebe Rätselgemeinde, diesmal waren wir ja außergewöhnlich fleißig. Satte 109 richtige Einsendungen sind bis gestern 10.30 Uhr in der Wirtschaftsredaktion eingegangen. Das bedeutet Wachstum von runden 40 Prozent, das setzt Maßstäbe. Aber nicht etwa um diese Statistik aufzupeppen haben wir uns heute zu einem u gelten. Euro(/a)tunnel ist übrigens die/der geplante Röhre(/r) unter dem Ärmelkanal, auch „Chunnel(/ ler)“ genannt. All dies geschieht rechtzeitig zur 100. WIRTSCHAFTSSEITE der taz, die Ihr gerade in den Händen halten dürft. Die Wirtschaftsredaktion gratuliert zu diesem Anlaß all ihren Lesern recht herzlich. Auch dieses Mal verlosen wir unter den richtigen Einsendungen einmal das Buch VORSICHT VOLKSZÄHLUNG - ERFASST, VERNETZT UND AUSGEZÄHLT; Hrsg. Roland Appel, Dieter Hummel, 245 S., und zweimal das Buch ZWISCHENSCHRITTE - DIE ANTI–AKW–BEWEGUNG ZWISCHEN GORLEBEN UND WACKERSDORF; Hrsg. Wolfgang Ehmke, 232 S., beide erschienen im Kölner Volksblattverlag. Auf eine richtige Einsendung gehört das Lösungswort, das sich dann ergibt, wenn wir die Buchstaben, die in die Kästchen mit den im Quadrat befindlichen Zahlen gehören, aneinanderreihen. Die Postkarten müssen bis Samstag, den 11.4., in der taz–Wirtschaftsredaktion, Wattstr. 11–12, 1000 Berlin 65, eingegangen sein. Rechtsweg bleibt ausgeschlossen, jetzt und immerdar.
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