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Unter der Oberfläche gärt der Widerstand

■ Vom Ausnahmezustand und den ständigen Übergriffen der südafrikanischen Sicherheitskräfte lassen sich die Bewohner von Soweto, der Schwarzen–Township bei Johannesburg, nicht einschüchtern / Mit Phantasie und Mut gegen Überwachung

Aus Soweto Hans Brandt

„Heute morgen sind sie auf Pferden gekommen“, erzählt Frau Mashile, während sie sich behaglich in eine Decke gewickelt auf dem Sofa zurücklehnt. „Die Kinder waren ganz aufgeregt und haben gewunken.“ „Sie“, das sind die südafrikanischen Sicherheitskräfte, die, obwohl sie nach neun Monaten Ausnahmezustand bereits zum Alltag der Bewohner Sowetos gehören, immer wieder für Aufregung in der Schwarzen– Township bei Johannesburg sorgen. „Dieses Mal hatten sie keinen gewöhnlichen Casspir (gepanzerten Mannschaftswagen) dabei, sondern eins von jenen Panzerfahrzeugen die eine Kanone obendrauf haben. Das wollten sie uns wohl nochmal zeigen.“ Von der „Kanone“ ist Frau Mashile offensichtlich beeindruckt. Im übrigen werden die Soldaten und Polizisten in ihren sandbraunen oder grellgelben Panzerfahrzeugen kaum noch wahrgenommen. Man hat sich an sie gewöhnt, genau wie an die rabiate Fahrweise der Gemeinschaftstaxis, die die Straßen beherrschen und auf niemanden Rücksicht nehmen. Man regt sich über die ständige Überwachung genauso auf, wie über die betrunkenen Nachbarn, die sich nachts prügeln. Wir sitzen in der blitzblanken Küche des Zwei–Zimmer–Hauses von Frau Mashile. Zwei Zimmer, das sind die kaum zehn Quadratmeter große Wohnküche und das vielleicht doppelt so große Schlafzimmer. Am Tisch sitzen noch eine Freundin von Frau Mashile, ihr Sohn und ihre Tochter, Daphne. Daphne Mashile arbeitet tagsüber im Johannesburger Büro des „Komitees zur Unterstützung der Eltern von Häftlingen“ (DPSC). Diese Menschenrechtsgruppe stellt die Statistiken über die Verhaftung und Mißhandlung von Häftlingen zusammen. Täglich spricht Daphne mit Eltern, die ihre Kinder suchen, oder nimmt Kontakt auf mit Anwälten, die den Eltern einen Besuch im Gefängnis ermöglichen können. Es ist eine anstrengende Arbeit, unterbrochen durch regelmäßige Besuche der Sicherheitspolizei. Aber auch zu Hause kann Daphne sich nicht richtig erholen. Das Dach leckt. Strom gibt es nicht, obwohl die erst 1985 gebauten Häuser dafür ausgerüstet sind, und in der Vergangenheit mit der Elektrifizierung Sowetos geworben worden war. Außerdem ist es furchtbar eng. Der kleine Eßtisch steht vor der Tür des Schlafzimmers, das kaum noch begehbar ist, da es mit einem Doppelbett und zwei Schränken vollgestellt ist. Zwei Leute können sich nicht gleichzeitig anziehen. „Wir schlafen alle drei hier, meine Mutter, mein Sohn und ich“, sagt Daphne. „Und das ist noch gar nicht mal so schlimm.“ Immerhin gibt es zehnköpfige Familien, die in diesen Häuschen wohnen. Dann wird nicht nur in der Küche geschlafen, ein paar Kinder schlafen auch im Badezimmer. Tatsächlich haben diese Häuser richtige Badezimmer, mit Bad und WC. Das ist für Soweto wiederum höchst ungewöhnlich. „Vielleicht sollen wir deshalb 100 Rand Miete zahlen“, spekuliert Daphne - in anderen Teilen der schwarzen Millionenstadt gelten schon 50 Rand als eine hohe Miete. Empört beschreibt Daphne, daß es in Naledi Extension 2, wie dieser Stadtteil von Soweto heißt, keine Schulen, keine Kirchen, nur ein Geschäft, keine Telefone, keine Teerstraßen, keine Postzustellung gibt. Kein Wunder, daß die Leute sich am seit Juli 1986 laufenden Mietboykott beteiligen. Sowetos Stadträte faßten vor kurzem einen Beschluß, einen Sondertrupp von Anwälten und Gerichtsdienern zu berufen, um Tausende von Verfahren gegen rückständige Mieter einzuleiten. Offensichtlich sind die Stadträte auch der Meinung, daß die Verhaftungswelle des Ausnahmezustandes Oppositionsgruppen schwer genug getroffen hat, so daß kein bedeutender Widerstand gegen die Protestwelle zu erwarten ist. Die Pressezensur verbietet es allerdings auch, eine Einschätzung dieser Vermutung der Soweto–Behörden zu veröffentlichen. Denn der Widerstand hat sich vornehmlich über die zellenartigen Straßenkomitees organisiert. Solche „alternativen Strukturen“ will Pretoria nun totschweigen. Dennoch - Widerstand gibt es. Zum Beispiel sind in großen Teilen Sowetos alle Hausnummern entfernt worden. Da Straßennamen ohnehin kaum existieren, ist eine typische Adresse wie „450 Zone 6, Diepkloof“ kaum mehr zu finden. So kommt die Vorladung zum Gerichtsverfahren oft gar nicht erst an. Im übrigen finden immer noch nachts unter offenem Himmel an immer wechselnden Orten Einwohnerversammlungen statt. Wie am besten mit den Vorladungen umzugehen ist, wo Rechtshilfe zu haben ist, welche Rechte der Mieter hat - all das wird dort diskutiert. „Ich mache mir Sorgen um meinen Sohn,“ erzählt Daphne. „Er sagte mir neulich, daß er das Land verlassen will, um zu Oliver Tambo zu gehen.“ Der zwölfjährige Zakhele meinte es offenbar ganz ernst. Für ihn ist eine Militärausbildung in den Lagern des verbotenen ANC ein glorreiches Ziel. Die Bewunderung für den ANC drückt sich auch in dem neuen Namen der Schule aus, die Zakhele jetzt, da der Schulboykott vorläufig vorbei ist, jeden Tag besucht: „Lusaka Socialist High School“ haben die Schüler die Schule genannt. In Lusaka, der Haupstadt Sambias, befindet sich das Hauptquartier des ANC. So mag der Ausnahmezustand tatsächlich oberflächlich für Ruhe gesorgt haben. Doch unter der Oberfläche geht der Widerstand weiter. Die tägliche Einschüchterung durch Straßensperren und Sicherheitspatrouillen teert eben keine Straßen, baut keine Schulen. Stattdessen trägt sie eher zum Wachstum jener neuen Generation von Jugendlichen bei, die nur noch mit dem Gewehr argumentieren wollen.

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