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Kampf gegen Windmühlen - oder für sie?

■ Ein drohendes Referendum gegen die AKWs verhindert die Kabinettsbildung in Italien / Erfolge bei umweltfreundlicher Energiegewinnung werden tunlichst verschwiegen / Nach den AKW–Giftschleudern könnte es auch Dreckschleudern an den Kragen gehen / Energiekartelle fürchten eine neue Weichenstellung

Aus Rom Werner Raith

Auch wenn sie sonst völlig unterschiedlicher Meinung sind, in wenigstens einem Punkt sind sich Italiens Politiker derzeit einig: es sind die Referenden, die der alten Koalition aus fünf Parteien den „Todesstoß“ (so Ministerpräsident Craxi) versetzt haben und die Bildung eines neuen Kabinetts unmöglich machen. Der Stein des Anstoßes ist dabei weniger der Volksentscheid über die Justizreform - da haben die Parteien bereits einen Kompromiß ausgehandelt - wohl aber das Plebiszit über den Ausstieg aus der Atomenergie, das Grüne und Umweltschutzverbände zusammen mit den kleinen Parteien Radikale und Demoproletarier durchgesetzt haben. Auf den ersten Blick ist nicht so recht verständlich, warum der Antrag die fünf Parteien der bisherigen Regierung geradezu unversöhnlich spaltet (Republikaner und Christdemokraten sind für, Sozialisten, Sozialdemokraten und Liberale gegen AKWs) - gehörte doch bis vor einem Jahr und noch lange nach Tschernobyl die Zustimmung zur Atomenergie für alle zur blanken Selbstverständlichkeit. Auch stehen bei einer eventuellen Abschaltung keineswegs Zigtausende Arbeitsplätze auf dem Spiel: in den drei bereits funktionierenden und den weiteren drei geplanten AKWs arbeiten gerade 3.200 Personen, und für die haben Grüne bereits Arbeitsplätze in Alternativenergiebetrieben ausgemacht. In Wirklichkeit geht es um mehr: Kommt der Volksentscheid für ein atomenergiefreies Italien durch, werden Grüne und Umweltschützer unverzüglich ein neues Referendum zur Stillegung einer ganzen Reihe umweltverseuchender Öl– und Kohlekraftwerke anleiern. Damit aber steht das gesamte bisherige Energiekonzept auf dem Spiel, und das haben die Lobbies und die von ihnen kontrollierten Parteien des bisherigen Machtkartells mittlerweile erkannt. Darüber hinaus würde ein „Modell Italien“, dessen Stromversorgung auf einer ganzen Palette alternativer, umweltfreundlicher Energien basierte, auch innerhalb der EG einiges ins Wanken bringen: Vorbei wäre es mit den Ausreden, man habe da noch zu wenig Erfahrungen oder es mangele an der entsprechenden Technologie. Windmühlennetze und Sonnenkollektoren Alternativen zu den Gift– und Dreckschleudern gibt es viele: An natürlichen Energiequellen wie Wind, Sonne und Erdgas ist Italien reich wie kaum ein anderes Land. Allein die dadurch in Sizilien gewinnbaren Kilowattstunden würden die derzeit betriebenen AKWs überflüssig machen. Zahlreiche experimentelle Anlagen zeigen hervorragende Ergebnisse: Auf Hunderten Hektar angelegte, kleine, miteinander vernetzte Windmühlen haben sich als ebenso brauchbar erwiesen wie die europaweit größte Sonnene nergieanlage am Ätna. Doch die Erfolge werden weitgehend totgeschwiegen, um der alteingesessenen Energiemafia nicht ins Gehege zu kommen. Das Ölkartell Italien hat in den fünfziger Jahren, als die von den USA dominierten Öl–Multis allenthalben ihr Preisdiktat durchsetzten, auf eigene Versorgungsunternehmen gesetzt. Das hatte einerseits zur Folge, daß Italien den AKW– Boom in den siebziger Jahren verschlief und erst spät hinter den Kollegen in den anderen Ländern herstapfte. Es brachte aber auch mit sich, daß die Erdölindustrie mit zur mächtigsten Lobby des Landes wurde. Als der Ölschock im Gefolge der arabischen Kar tellbildung Europa und die USA heimsuchte, rieben sich Italiens Öl–Magnaten die Hände: Sie hatten „ihre“ Verbindungen und bezahlten fortan über ihre Geheimdienste und allerlei Dunkelmänner das libysche Öl mit Waffen. Finanzpolizeigeneräle, Ölmanager und Geheimdienstler wurden dabei schwerreich. Auch als die Schmiergeldzahlungen in der Folge des Skandals um die kriminelle Geheimloge „Propaganda 2“ aufflogen, nahm die Macht der Öllobbyisten nicht ab: sie änderten lediglich ihre Taktik dahingehend, daß sie sich mit den Kohlemagnaten im In– und Ausland verbündeten und nun ein Kohlekartell bilden, das ganz nach Belieben schon jetzt Riesenkraftwerke wie das in Piombino vor Elba auf die drei– bis vierfache Kapazität erweitert, ohne irgendwelche Filteranlagen auf Billigkohle umstellt und dafür noch frech neue Steuergelder fordert. Angst der Magnaten vor Alternativen Vordergründig könnten erfolgreiche Volksentscheide gegen die AKWs den Öl– und Kohlemagnaten Auftrieb geben, weil man dann mehr von ihrer Energie benötigen würde - aber den Managern ist klar, daß ihre Pestanlagen als nächste dran sind. Und das vielleicht nicht nur in Italien: neben AKW–Vertretern aus allen möglichen Ländern haben Grüne mittlerweile auch allerhand andere Energiebetreiber aus dem Ausland anreisen sehen, um regionale und großstädtische Entscheidungsträger zur „Festigkeit“ in Sachen althergebrachter Einrichtungen zu ermahnen. Die Angst, daß selbst chaotisch improvisierte italienische Windmühlen und Sonnenkollektoren genügend Energie spenden könnten, um die alten Dreckschleudern zum Abriß zu verdammen, treibt die gesamteuropäische Lobby offenbar mächtig um. Moderne Führungskräfte satteln um Inneritalienisch liegt in der „Zukunftsfrage“ auf dem Energiesektor auch die Spaltung der bisherigen Machtträger begründet. Ein Gutteil der Entfremdung zwischen den traditionellen Industriebaronen des Nordens, die wie Fiat–Chef Agnelli lange Zeit ins Öl investiert haben, und dem früher von ihnen gut gelittenen Craxi liegt in der Wende der Sozialisten zur Anti–AKW–Bewegung hin: eine Wende, zu der es keine Alternativen gab, denn die Sozialisten wollten günstige Weichen für die nächsten Wahlen stellen und sowohl den lange Zeit AKW–frommen Kommunisten Stimmen abjagen wie die Aufsteiger der öl– unabhängigen High–tech–Betriebe für sich gewinnen. Es ist kein Zufall, daß sich der Aufsteiger und mächtigste Gegner von Agnelli, Olivetti–Chef Carlo de Benedetti, öffentlich gegen Atomenergie ausgesprochen und sich gar als „Grüner“ bekannt hat. Der Kampf um den Vorrang neuer Energie–Technologien - und damit um die Herrschaft in Italien ist voll im Gange. Foto (Schornstein) bitte unten und auf der linken Seite beschneiden! Merci Bien

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