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Schon ein Jahr ohne Super-GAU

Berlin (taz) - Am 26. April 1986, morgen vor einem Jahr, ereignete sich in der Sowjetunion der größte anzunehmende Unfall, den die Atomtechnik kennt. Um 01.23 Uhr explodierte der vierte Block des Atomkraftwerkes von Tschernobyl. Der Graphitmantel der Brennelemente geriet daraufhin in Brand, der Reaktorkern wurde zum weißglühenden Höllenfeuer. Die freigesetzte Radioaktivität - rund 3.300 Becquerel - trug der Wind nach Norden und verteilte sie dann auf ganz Europa und darüber hinaus. Quer über den gesamten Kontinent tickten die Geigerzähler. In der Bundesrepublik verfaulte der Salat, blieben Kindergärten und Sportplätze geschlossen, leerten sich bei Regen die Straßen, lernten die Menschen „Zerfallszeiten“, „Spaltprodukte“ und Becquerel zu unterscheiden, gingen in den Apotheken die Jod–Tabletten aus, stellte Kohl einen Umweltminister ein. Für die einen war dieser Unfall das wichtigste Ereignis seit Christi Geburt, für die anderen war es der Beweis der Beherrschbarkeit des Unvorstellbaren. Ein Jahr danach hat Tschernobyl mit der Inszenierung des Jahrestages wieder Konjunktur. Katastrophensüchtige Medien bringen den Supergau wieder in die Wohnzimmer. Auf eine kraftvolle bundesweite oder gar internationale Aktion konnte sich das ökologische Spektrum nicht verständigen. Dezentrale Veranstaltungen und der Versuch eines Stromboykotts werden am Sonntag an Tschernobyl erinnern. Was ist vom ersten Erschrecken dieser Katastrophe geblieben? Was ist ausgeblieben? -man–

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