: 750er Peinsack–Parade
■ Kleinliche Zensur bei der Eröffnungsfeier zum Stadtjubiläum / Nationalhymne nur in der Kompromißfassung / RIAS–Musiker traten in mutigen Streik
Berlin (taz) - Alles was Rang und zwei Beine hatte (Weizsäkker, Kohl, Vogel, die Stadtkommandanten, Botschafter etc.) drängelte sich vorgestern zum Auftakt der Berliner 750–Jahresfeier im Kongreßzentrum. Die Show (von einem Dramaturgen der Oper entworfen) sollte mit der Nationalhymne zum Mitsingen beginnen, doch daraus wurde nichts. Als Ergebnis eines langen Streits um die Präsentation der Hymne wurde am Donnerstag nur eine nicht mitsingbare dünne Streicher–Fassung geboten. Der Komponist Jolyon Brettingham– Smith wollte ursprünglich seine Neubearbeitung der Haydnschen Hymne spielen. Bürgermeister Diepgen empfand diese Fassung aber als arge Verballhornung des Deutschlandliedes. Die richtige, die ganze sollte es sein. Die woll ten dann aber die Musiker nicht spielen - von den 75 Mitgliedern des RIAS–Jugendorchesters erklärten sich nur 10 dazu bereit. Die Generalprobe am Mittwoch war zu einer Art Teach–In geraten, auf der die Eröffnungs–Inszenierung von den Musikern als „platte Symbolik“ und „Reichsparteitagsinszenierung“ beschimpft wurde. Die renitenten Musiker blieben standhaft. Schließlich einigte man sich auf eine leise und langsame Streicher–Version, bei der auf keinen Fall jemand mitgröhlen konnte. Nach der dünnen Hymne ging es im ICC „positiver“ weiter: Bei dem „Cantus für Berlin“ wurde ein Text aus der Zeit des großen Kurfürsten, entstanden nach der Schlacht von Fehrbellin, verwendet: „Berlin, jetzt freue dich, der Feind ist überwunden“. Die folgenden Strophen hatte aus aktuellem Anlaß, aber historisierend nachempfunden, der Berliner Journalist Hildebrand beigesteuert: „Berlin, erkühne dich, zu friedlich großen Zielen, erfüll den Status quo mit Künsten und mit Spielen, mit Hoch– und Subkultur, Klangwelten und Museen...“ Diese Jubel–Poesie wurde in die Kongreßhalle geschmettert. Begleitet wurde sie vom Orchester, drei Militärkapellen und philharmonischen Blech. - Hei, wie da die Augen der Honoratioren leuchteten! In der Nacht zuvor hatten die Feierlichkeiten im Festzelt des Springer Verlags begonnen. Shirley Bassey sang „Goldfinger“, Desiree Nosbusch präsentierte und Menuhin geigte dazu. HH. Bericht auf Seite 5
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