: Menschenkette mit Pappkameraden
■ Über 200.000 Briten reichen sich in der größten Demonstration gegen die Arbeitslosigkeit die Hände Doch viele Hände fehlen bei „Hands Across Britain“ / Konservative drohen mit neuen Sparmaßnahmen
Aus London Rolf Paasch
„Hands Across Britain“, die über 500 km lange Menschenkette zwischen Liverpool und London symbolisierte am Sonntag - ungewollt - die in Großbritannien vorherrschende, je nach Region unterschiedliche Einstellung zur Massenarbeitslosigkeit. Denn während der Beginn der Schlange in der Hope Street von Liverpool Volksfestcharakter hatte, fand sich am anderen Ende der Menschenkette in London nur ein de primierend kleines Häuflein von Demonstranten ein. Was in den Arbeitslosen–Metropolen des Nordens jeden angeht, interessiert in der Hauptstadt des Südens offenbar kaum noch einen. 375.000 Händepaare wären nötig gewesen, um die sich in Form eines Fragezeichens durch England schlängelnde Menschenkette zu vervollständigen. Daß es am Sonntag um 15 Uhr erheblich weniger waren, lag an dem naßkalten Wetter und der widersprüchlichen Haltung vieler Bürger zu ihren Ar beitslosen. Zwar halten 76 Prozent der Briten die Arbeitslosigkeit für Großbritanniens „Problem Nr. 1“. Aber die Antworten auf Fragen nach den konkreten Problemen sehen schon anders aus. Im familiären Alltag führt die Sorge vor der Inflation (49 der Angst vor Arbeitslosigkeit (42 Nächste“–Ideologie hat bereits deutliche Spuren hinterlassen. Der jüngsten Meinungsumfrage vom Sonntag zufolge werden 44 Prozent aller Briten den Widerspruch zwischen ihrer Rolle als Privatperson und als Staatsbürger durch die Wahl der Konservativen auflösen. Kein Wunder also, daß die Hände nicht reichten, und statt dessen Politiker anstanden, um die Lücken zu schließen. Der Führer der Sozialdemokraten, David Owen, ließ sich per Hubschrauber nach Liverpool fliegen, um in der dortigen Kathedrale am Arbeitslosen–Gottesdienst teilzunehmen. Selbst Lord Young, Maggies Minister für Arbeitslosigkeit, erklärte, er stehe voll hinter dem Anliegen der Organisatoren und mache sich ebenfalls Sorge um die Herde seiner untätigen Schäfchen. Nur die Wahl des Zeitpunktes für die Aktion eine Woche vor den Kommunalwahlen komme einer „zynischen Instrumentalisierung der Arbeitslosen gleich“. Dies sprach der Lord der Arbeitslosen, der sich zehn Minuten vorher im gleichen Fernsehinterview noch für die Übernahme des amerikanischen „Workfare“–Programmes und damit für die Wiedereinführung des Arbeitsdienstes ausgesprochen hatte. Nach ihrer Wiederwahl wollen die Tories allen Jugendlichen, die ihre Teilnahme an den meist nutzlosen staatlichen Programmen verweigern, die Sozialhilfe streichen. Die Organisatoren der bisher größten Arbeitslosendemo sehen ihre Bemühungen durch soviel Zynismus auf Seiten der Regierung bestätigt. Sie wollen ihre Kampagne auch nach der Menschenkette vom Sonntag weiter fortführen. „Unser Thema läuft uns ja nicht weg“, sagte ein Ordner von „Hands Across Britain“ am Sonntag auf den Londoner Highbury Fields.
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