: D O K U M E N T A T I O N Alle sind schuldig
■ Über Österreichs mangelhaften Willen zur Selbstreinigung / Waldheim erinnert seine Wähler an sie selber / Wir gehen mit uns selber gemütlich um / Über den harmlosen Antisemitismus
Von Günther Nenning
Irgendwie haben wir erst jetzt einen Bundespräsidenten, den wir verdienen. Die bisherigen waren Glücksfälle; aus Charakter oder Zufall oder Mischung von beiden waren sie in die Vergangenheit nicht verstrickt oder nicht besonders tief verstrickt (Karl Renner mit seinem Bekenntnis zum Anschluß an Deutschland). Der jetzige ist ein voll Verstrickter. Ein genaues Spiegelbild Österreichs. Die Einen (die Meisten) wollen sich mit der Vergangenheit nicht befassen; die Anderen (die Wenigen) bemühen sich vergeblich, ihre Mitbürger dahin zu kriegen. Beide sind schuldig - die Einen ohnehin, denn Wegschaun rächt sich; die Anderen aber, weil sie sich nicht genug anstrengen. Alle Schuld ist Kollektivschuld. Nur net generalisieren heißt: Ein paar waren sehr schuldig, wir aber nicht, aber was solls? Doch die Wahrheit ist: Wir haben keinen Widerstand geleistet - wir haben nicht genug Widerstand geleistet - wir haben Widerstand geleistet, aber ohne Erfolg, also haben wir was falsch gemacht - wir tun nichts gegen die Wiederkehr des Gleichen - wir tun was, aber ohne Erfolg, also machen wir was falsch. Wir sind alle schuldig. Kollektivschuld ist nicht: Wir waren alle Kriegsverbrecher. Unser aller Schuld ist Mitschuld; etwa das, was die Juristen culpa levis nennen, leichte Schuld, Leichtfertigkeit - im Umgang mit unseren Taten und Unterlassungen, Reden und Schweigen, Halbwahrheiten und Halblügen. Wir verzeihen uns. Die österreichische Gemütlichkeit besteht darin, daß wir mit uns selber gemütlich umgehen und ungemütlich werden, wenn uns Ausländer oder unsere Kinder (diese Ausländer!) das vorwerfen. Ich getrau mich keinem sagen: Du bist unschuldig; du hast alles getan, was zu tun war. - Erwiesenermaßen ihre volle Pflicht getan haben nur jene, die im Widerstand starben. Ich getrau mich keinem sagen: Du bist schuldig; ich hätte in deiner Lage mehr Scharfblick gehabt, mehr Todesmut. Ich war nicht in deiner Lage - aber war das so, weil ich mehr Charakter hatte oder weil ich mehr Glück hatte? Ich getrau mich keinem Jungen sagen: Damit mußt du dich intensivst beschäftigen. - Eine Generation hat alles falsch gemacht und belehrt jetzt die nächste Generation, die nichts dafür kann. Paßt auf, daß der Faschismus nicht wiederkommt. Aber die da mit dem pädagogischen Zeigefinger wackeln, das sind jene, die den Faschismus auf dem Gewissen haben, durch Teilnahme oder Duldung oder Nichtverhinderung. Seine Pflicht erfüllen: Klar, seine Pflicht voll und ganz. Gegen Tyrannei Widerstand leisten bis zum Tod. - Also haben nur wenige ihre Pflicht erfüllt. Der gegenwärtige Bundespräsident kam nicht deshalb auf seinen Sessel, weil es seinen Wählern Wurscht war, ob er vielleicht ein Kriegsverbrecher war. Sondern weil er ziemlich sicher ein Verstrickter war, mitschuldig und eisern schweigend. Das erinnerte seine Wähler an sie selber; so ging es ihnen auch oder so hätte es ihnen gehen können, was wissen denn die, die nicht dabei waren. Schweigen, Verdrängen, Ruah. Alles war so verzwickt. Man kann es keiner anderen Nation, keiner anderen Generation wirklich begreiflich machen. Also weigern wir uns; wir habens überlebt; es wird vergessen werden. Leider nein. Die Affäre Waldheim ist eine Affäre Österreich. Wir merken jetzt endlich, was dabei herauskommt, wenn ein Land in der Lüge lebt. Es ist statistisch erwiesen, daß die Österreicher unhygienisch sind; zu wenig Seife, faul beim Zähneputzen, zu seltener Hemdenwechsel(?). Aber das ist nicht schlimm; ich halte nichts von der ständigen körperlichen Säuberung, verdächtige sie als billigen Ersatz für innere Unreinlichkeit. Schlimm ist die ungeputzte Nationalseele. Jetzt müssen wir sie putzen. Mit üblen Nebenwirkungen. Antisemitismus z.B.: Er wird stärker werden (als er ohnehin schon ist). Ein ÖVP–Abgeordneter, dessen Namen ich barmherzigerweise vergessen hab, entschuldigte sich einst für antisemitische Äußerungen, indem er sagte: Er habe bissel getrunken und war sehr müd. - Wenn man müd is, wird man noch auf die Juden schimpfen dürfen. Dieser sogenannte harmlose Antisemitismus wird jetzt offener, politischer, giftiger. Erst recht, wenn Waldheim zurücktritt. Aber es nützt nichts, da müssen wir durch. Die Vergangenheit hat uns, Weltrekordler im Vergessen, eingeholt. Da aber nicht alle Österreicher zurücktreten können, soll wenigstens ihr Präsident zurücktreten. Wir übernehmen den Artikel gekürzt aus Profil vom 18.5.87
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