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„Ich werde den Volkszählungsbogen mit dem Judenstern verzieren“

■ Interview mit Marianne Ascher Vöcking (60), Bundesgeschäftsführerin der Liberalen Demokraten, die aufgrund ihrer Erfahrungen während der Nazi–Zeit die Volkszählung offen boykottieren wird

taz: Frau Ascher Vöcking, Sie haben öffentlich erklärt, daß Sie und Ihre ganze Familie unter Nennung des vollen Namens die Volkszählung boykottieren wollen. Warum dieser offensive Schritt ? Ascher Vöcking: Dieser Schritt beruht auf dem Schicksal unserer Familie. Mein Mann ist Jude. Die Familie meines Mannes hatte in Berlin eine Schokoladenfabrik, die 1937 innerhalb von 24 Stunden verkauft werden mußte, weil man nach den Volkszählungen von 1933 und 37 herausgefunden hatte, wer Jude war. Ob man jüdischen oder moasischen Glaubens war - wie es richtig heißen muß - oder christlichen Glaubens, war egal. Mein Mann hat innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen müssen, und er ist mit seiner Mutter und seinem Stiefvater nach Holland geflüchtet. Dort wurde er 1941 nach dem Einmarsch der Deutschen noch einmal gezählt. Eine der Fragen auf diesem Zählungsbogen hieß damals: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor ? Das war eine der makabren Fragen, die mein Mann mit unbestimmt beantwortet hat. Er hatte dann das Glück bei einem evangelischen Geistlichen unterzuschlüpfen, und er hat Zwangsarbeiten machen müssen unter ähnlichen Bedingungen wie in den KZs. Mein Mann leidet heute unter dem KZ– Syndrom. Er hat oft wahnsinnige Angst, kriegt keine Luft mehr und kann nichts mehr essen. Er lehnt jede Volkszählung entschieden ab und unsere Familie hat sich dem angeschlossen. Sobald eine Volkszählung gemacht würde ohne Personalien, wären wir sofort bereit. Aber mit allen Daten und mit den Religionszugehörigkeiten lehnen wir das ab. Ich habe auf einer Veranstaltung dem nordrhein–westfälischen Innenminister Schnoor den Fall geschildert. Ich habe ihm gesagt, daß mein Mann als Jude die Volkszählung ablehnt und da meinte der nur: „Das ist ein heikles Thema.“ Damit war die Diskussion beendet.“ Wie wird sich Ihre Familie nun konkret verhalten ? Meine Familie ist sich da völlig einig. Ich werde meinen Bogen mit dem holländischen Judenstern verzieren, den mein Mann in Holland tragen mußte. Und ich werde quer über den Bogen schreiben: „33 gezählt, 37 gezählt, 41 in Holland gezählt. Das Ergebnis war Ausrottung der noch vorhandenen Familie. Ich lasse mich nicht mehr zählen.“ Da wir die einzige jüdische Familie in unserem Ort sind und das auch jeder weiß, wird auch jeder wissen, wer diesen Bogen abgegeben hat. Und ich warte darauf, was dann passieren wird. Alle Repressalien, die wir deshalb bekommen, werden wir hinnehmen. Mein Mann hat da lange Übung drin. Aber ich bin bereit, mich an den Weltrat der Juden zu wenden, wenn ich auch nur fünf Mark Ordnungswidrigkeit wegen dieser Verweigerung bezahlen muß. Und ich werde sehr viel Wirbel darum machen. Was mich in meinem Boykott noch bestärkt hat, das ist die Art, mit der man gegen Boykotteure vorgeht, die den Obrigkeitsglauben nicht mehr haben. Das sind für mich Gestapo–Methoden! Mit meinem einfachen Menschenverstand denke ich mir: wenn man so viel Zirkus um eine Sache macht, muß noch etwas anderes dahinter sein. Und da kann ich meine Daten nicht abgeben. Das Gespräch führte Vera Gaserow

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