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„Nächstes Mal lassen wir dich nicht ungeschoren“

■ Obwohl die Contras in der nicaraguanischen Bevölkerung weder eine soziale Basis gewinnen noch auf militärische Erfolge verweisen können, vergeht kaum eine Woche, in der sie nicht eine Genossenschaft oder ein Aufbauprojekt überfallen.

Aus Juigalpa Ralf Leonhard

„Es war eine sternenklare Nacht, als die Contras angriffen“, erinnert sich Angela Urbina wenige Stunden nach dem blutigen Überfall auf die staatliche Kaffeefarm „Los Millones“, 214 Kilometer östlich von Managua. Sie zeigt auf die durchlöcherten Wände der Kinderkrippe und die Einschüsse im Dach, durch die der Regen eingedrungen ist und sich auf dem Boden mit den Ziegelsplittern und dem losgelösten Mörtel zu einer schmutzigen Masse vermengt, und der Topf, in dem die Getränke für die Kinder zubereitet wurden, hat ein fingerdickes Loch. „Dort drüben ist mein Bruder gefallen und daneben mein Schwager Pablo.“ Angela zeigt auf eine Hügelkante. Der Leichnam des 15jährigen Pablo Miranda liegt aufgebahrt im Verwaltungstrakt, die durchtrennte Kehle notdürftig mit einem Tuch zugedeckt. Am Kopfende des Sarges sitzt die schluchzende Mutter. Drei der acht Toten wurden bereits weggebracht in ihre Heimatgemeinde. Die übrigen warten in ihren schlichten Holzsärgen auf die Beisetzung: wächserne, blutverschmierte Gesichter, die Augen halb geöffnet. Der zertrümmerte Schädel des 20jährigen Nolasco Granada ist mit einer weißen Bandage zusammengebunden. „Um 1 Uhr 30 griffen 40 bis 60 Contras an, es gab acht Tote und zehn Verletzte“, resümiert Leutnant Roberto Herrera, der Armeesprecher der Region Chontales, in knappen Worten den Überfall vom 18. Juni auf die Kaffee– und Rinderfarm „Los Millones“. Schon etwa vier Monate vorher wollten die Antisandinisten das Staatsgut überfallen. Damals war allerdings die Miliz gewarnt und bezog Stellung auf dem gegenüberliegenden Hügel. Die Angreifer mußten sich nach kurzem Gefecht zurückziehen. Diesmal nahmen die Contras zuerst den Hügel ein und schlugen überraschend zu. Mit Artilleriefeuer und Granaten rissen sie die rund 180 Arbeiter aus dem Schlaf. Bevor die 40 Milizionäre ihre Posten bezogen, gab es bereits die ersten Gefallenen. „Sie schossen mit Mörsern, chinesischen Granatwerfern RP–2, belgischen FAL– Sturmgewehren und M–79 Maschinengewehren“, erzählt der 19jährige Pedro, der erst vor drei Monaten seinen Wehrdienst beendet hat und alle Waffen am Geräusch erkennt. Die Contras kannten die Namen von vielen der 27 ehemaligen Wehrdiener, die in „Los Millones“ arbeiten, ja sie konnten sogar die Stimmen von einigen nachahmen und damit die Verteidiger verwirren. So drängt sich der Verdacht auf, daß Deserteure der Sandinistischen Armee sich in die Reihen der Contras eingegliedert haben. „Nach einer Stunde ging uns die Munition aus“, berichtet ein Überlebender. Auf der Flucht fielen einige den Angreifern in die Hände und wurden sofort getötet, andere wurden entführt. Die Angreifer plünderten den Gesundheitsposten und vernichteten, was sie nicht mitnehmen konnten. Sie rissen das Telefonkabel ab, zertrümmerten den einzi gen Apparat und trennten die Stromleitung mit einer Granate durch. „Dann suchten sie Diesel, um die Gebäude in Brand zu stecken. Aber als sie laut Befehl gaben, den Treibstoff zu suchen, war jemand geistesgegenwärtig genug, die Vorräte auszuleeren“, sagt Angela Urbina. Einer der Entführten war William Mejia, der Verwalter der Staatsfarm. Er diente den Contras als Packesel, mußte stundenlang drei erbeutete Schnellfeuergewehre, die Schreibmaschine der Verwaltung und einen Rucksack mit zwölf Kilo Zucker schleppen. Als William Mejia fürchtete, seine letzte Stunde habe geschlagen, wurde er zum Chef gerufen und mußte beteuern, daß er kein „piricuaco“ - kein Sandinist - sei. „Dann verschwinde, du Hurensohn!“, soll Tigrillo darauf gesagt haben, „aber das nächste Mal lassen wir dich nicht ungeschoren. Und wir kommen wieder.“

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