: USA: Richter–Rücktritt kippt die Waage
■ Mitten in seiner schwersten politischen Krise ein unerwarteter Erfolg für Reagan / Mit der Ernennung eines Nachfolgers fuer Richter Lewis Powell wird es zu einer konservativen Mehrheit im Supreme Court kommen / Abtreibungsgegner hoffen auf Reagans Personalvorschlag
Aus Washington Stefan Schaaf
„Die dunkle Nacht des Abtreibungs–Holocaust scheint zuende zu gehen. Alle das Recht auf Leben befürwortenden Kräfte schauen nun auf Präsident Reagan“ - mit diesen Worten reagierte der erzkonservative Senator Gordon J. Humphrey auf die Nachricht vom Rücktritt eines der neun Obersten US–Richter. Lewis F. Powells Abschied aus dem Supreme Court kam überraschend und ermöglicht Reagan die Erfüllung eines Wunschtraums. Dem Supreme Court eine konservative Mehrheit zu geben, hatten Reagan und seine Parteigänger seit dessen Amtsantritt erhofft. Der 79jährige Powell, der für seine Entscheidung vor allem gesundheitliche Gründe nannte, war 1971 von Richard Nixon ernannt worden und hatte eine entscheidende Mittlerposition zwischen den vier eher liberalen und dem Quartett konservativer Richter inne. In zahlreichen Fällen hatte Powells Stimme den Ausschlag gegeben, wobei er in Bür gerrechtsfragen eher der liberalen Seite zuneigte, im Strafrecht und als es um die Zulässigkeit der Todesstrafe ging, dagegen mit den Konservativen stimmte. Powell hatte sich aber vor allem den Versuchen der Reagan–Administration widersetzt, frühere Entscheidungen zu ändern, so das fundamentale Urteil über das Recht auf Abtreibung, „Roe vs. Wade“. Powell war Autor der Bestätigung dieses Urteils, in der er auf das Prinzip pochte, dem Geist einmal gefällter Entscheidungen treu zu bleiben. Die Richter am Obersten Gerichtshof werden vom Präsidenten auf Lebenszeit ernannt und ermöglichen ihm so, die Rechtsprechung auf Jahrzehnte zu beeinflussen. Seine Personalvorschläge müssen vom Senat bestätigt werden. Reagan hat bisher zwei Oberste Richter ernannt und im vergangenen Jahr den Konservativen William Rehnquist zum Vorsitzenden des Supreme Court gemacht. Rehnquists Beförderung hatte zu erbitterter Kritik im Senat geführt. Ähnlicher Wider stand wird jetzt erwartet, vor allem, da der Senat seit letztem Jahr von der Demokratischen Partei kontrolliert wird. Der Preis für einen der Reagan–Ideologie treuen Nachfolger Powells könnte demnach ein langwieriger Bestätigungsprozeß sein. Die bisher genannten Kandidaten lassen darauf schließen, daß Reagan dieser Preis nicht zu hoch ist. Die beiden aussichtsreichsten Anwärter sind Bundesrichter Robert Bork und Senator Orrin Hatch. Bork war unter Nixon zweieinhalb Monate lang Justizminister gewesen. Hatch ist das Reagan–treueste Mitglied im Senats–Irangate–Ausschuß. Beide Kandidaten garantieren, daß der Supreme Court von einer Bremse zu einem Vehikel für die gesellschaftspolitischen Ansichten der Reaganisten würde. Beide werden es dem Senat allerdings schwer machen, sie zurückzuweisen, denn an ihrer juristischen Qualifikation bestehen kaum Zweifel - und politische Bedenken sind bei Richter–Ernennungen inakzeptabel.
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