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Datenmüll–Fund in Hagen

■ „VoBos“ fanden im Müllcontainer der Erhebungsstelle in Hagen haufenweise Zensusunterlagen / Der Zählleiter: „Die Sachen gehörten in den Reißwolf“

Aus Bochum Petra Bornhöft

Wie gestern kurz berichtet, haben VolkszählungsgegnerInnen aus Hagen in den Hausmüllcontainern der örtlichen Erhebungsstelle mehrere Stapel von Zensusunterlagen entdeckt. Problemlos gelangten die „VoBos“ auf den Hof hinter dem Gebäude und in spizierten ungestört den Inhalt. Bei den Papieren handelt es sich u.a. um eine Adressenliste von Verweigerern der Gebäudevorerhebung, gegen die Zwangsgelder in Höhe von 300 oder 600 DM verhängt wurden. Da die Erhebungsstelle „keine Erfahrung mit Zwangs– und Bußgeldern hat“, so Erhebungsstellenleiter Martin Schlegel zur taz, habe man sich „Musterformulare“ vom Bauordnungsamt kommen lassen. Die entpuppten sich jedoch als Kopien von Zwangsgeldbescheiden des Bauordnungsamtes, auf denen nicht mal die Namen eingeschwärzt waren. Über den persönlichen Daten der Betroffenen steht lediglich der handschriftliche Vermerk „Muster“. Weiterhin entdeckten die Hagener Dutzende von individuellen Zähler–Abrechnungen. Aus der Honorarhöhe geht hervor, daß die Stadt für gezählte Ausländer eine „Kopfprämie“ von 50 Pfennig gezahlt hat. Freiwillige Zähler erhielten in Hagen eine Zulage von 50 Prozent gegenüber den Verpflichteten. Dieser Bonus diente offenbar dazu, das Problem des Zählermangels zu lösen. Entsprechende Schwierigkeiten bestätigt ein entdeckter Schriftwechsel zwischen dem NRW–Datenschutzbeauftragten und der Erhebungsstelle über den Einsatz von Zählern aus dem Arbeitsamt. Fortsetzung auf Seite 2 Peinlich genau führten die Zähler Buch über ihre Arbeit, notierten Aussagen von Nachbarn von nicht angetroffenen Personen. Auf einer dieser offiziell als „Suchmeldungen“ bezeichneten Dokumente vermerkte ein Zähler unter der Anschrift den makabren Satz: „Liegt schon längere Zeit im Josefshospital. Entlassung fraglich“. Unkorrektheiten des Zensus infolge von Umzügen nach dem Stichtag vermeidet man in Hagen durch Informationen vom Einwohnermeldeamt. Auf handschriftlich abgefaßten Zetteln informiert die Behörde ihre Kollegen über Änderungen in der Meldekartei. Um eine Erklärung für diesen bisher beispiellosen Fund gebeten, äußerte sich der Erhebungsstellenleiter gegenüber der taz: „Ich bin zerknirscht. Es gibt nichts zu beschönigen. Die Sachen gehörten in den Reißwolf. Wir haben an hundert Stellen Sicherheiten eingebaut. Wohl aus Transusigkeit haben sich einige Mitarbeiter nicht an die Anordnungen gehalten.“ Ob der Skandal weitere Konsequenzen nach sich ziehen wird, steht am Mittwoch im Rat der Stadt Hagen zur Debatte.

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