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Von der Arbeitervertretung zur politischen Macht

■ Heute beginnt in Südafrika der erste Kongreß der größten Gewerkschaftsföderation COSATU seit ihrer Gründung 1985 / Gewerkschaften als politische Nachfolger der verbotenen „Vereinigten Demokratischen Front“ (UDF) / Die Gewerkschaften zentralisieren sich

Aus Kapstadt Hans Brandt

Heute beginnt in Johannesburg der dreitägige Kongreß von COSATU (Kongreß südafrikanischer Gewerkschaften), mit 80.000 Mitgliedern der größten Gewerkschaftsföderation Südafrikas. Politische Themen werden die Diskussionen in diesem ersten landesweiten COSATU– Treffen seit der Gründung der Föderation im Dezember 1985 bestimmen. Der DGB–Vositzende Ernst Breit ist zum COSATU– Kongreß nach Johannesburg gereist - ein Zeichen für die engen aber nicht unproblematischen Beziehungen zwischen DGB und COSATU. „Wir sind keine Sklaven mehr“ Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen hat die 1985 gegründete Gewerkschaftsföderation seitdem wichtige Erfolge erringen können. „Wir sind als Arbeiter anerkannt worden. Wir sind keine Sklaven mehr“, jubilierte ein schwarzer Betriebsrat, als die staatliche Eisenbahngesellschaft SATS sich Anfang Juni gezwungen sah, 16.000 seit drei Monaten streikende und dann gefeuerte Arbeiter wieder einzustellen. Es war ein historischer Sieg im öffentlichen Bereich, wo die Organisierung der Arbeiter schon immer besonders schwierig war. „Wir haben ihnen gezeigt, daß sie die Einheit der Arbeiter nie brechen können“, betonte COSATU–Generalsekretär Jay Naidoo. Ein weniger spektakulärer doch ebenso wichtiger Erfolg ist die anhaltende Konsolidierung der zahlreichen, Ende der siebziger Jahre entstandenen kleinen, zum Teil regionalen Gewerkschaften in mächtige, landesweite Industriegewerkschaften nach dem COSATU–Motto „In jedem Sektor eine einzige Gewerkschaft“. Ende 1985 gab es 430.000 COSATU–Mitglieder in 33 Gewerkschaften. Heute sind es fast 800.000 in 13 Industriegewerkschaften. Dabei hat sich der Charakter der Gewerkschaften merklich geändert. Immer stärker erheben sie auch politische Forderungen. So wurden die Gewerkschaften fast selbstverständlich zu Nachfolgern der Vereinigten Demokratischen Front (UDF), als der vor mehr als einem Jahr verhängte Ausnahmezustand diese größte politische Organisation des Landes in den Untergrund zwang. Seitdem hat COSATU die führende Rolle im Widerstand gegen die Apartheid übernommen. Doch es fällt den Gewerkschaften nicht leicht, den Erwartungen, die nun an sie gestellt werden, gerecht zu werden. Festhalten an Sanktionen Die Diskussion über Sanktionen wird dabei noch am wenigsten kontrovers sein. Ihr Ausgangspunkt wird ein vertraulicher Be richt sein, der für COSATU von einem unabhängigen Forschungsinstitut erarbeitet wurde. Der Bericht, der schon vor einigen Monaten in London öffentlich bekannt wurde, spricht von den negativen Auswirkungen von Sanktionen und dem Ende von Investitionen auf die Arbeitsmarktlage. Dennoch wird COSATU wirtschaftlichen Druck weiter befürworten. „Wenn es eine Veränderung unserer Position nach der Diskussion des Berichts geben sollte, dann wird es in Richtung stärkerer Schritte zur Isolierung des Apartheid Regimes sein“, sagt COSATU–Pressesprecher Frank Meintjies. Bei seinem Gründungskongress 1985 hatte COSATU wirtschaftlichen Druck lediglich mit der Einschränkung unterstützt, daß über einen Rückzug ausländischer Firmen mit den Arbeitern verhandelt werden solle, sodaß „der von den Arbeitern geschaffene Reichtum im Lande bleibt“. Nachdem Sanktionen und Abbau von Investitionen nun zur Realität geworden sind, ist diese Einschränkung zu vage. Als sich General Motors letzten Oktober aus Südafrika zurückzog, mußten Gewerkschaften schwere Einbußen in Mitgliedschaft und Einfluß hinnehmen. Da half auch eine Beset zung des Werksgeländes nicht. Als Ford vor kurzem seine Absicht bekanntgab, bei seinem Rückzug aus Südafrika einen Teil seiner Aktien an die Gewerkschaften abzugeben, wußten die betroffenen Gewerkschafter nicht, wie sie am besten reagieren sollten. Eine differenziertere Position und einheitliche Strategie zu Sanktionen und Investitionsstop ist dringend nötig. Differenzen in der Debatte um Sozialismus Am deutlichsten zeigen sich politische Differenzen innerhalb derCOSATU in der Sozialismus– Debatte, die sich diesmal im Zusammenhang mit der Diskussion über die sogenannte Freiheitscharta entwickeln wird. Dieses schon in den fünfziger Jahren verfaßte, verfassungsähnliche politische Grundsatzdokument des verbotenen Afrikanischen National kongresses (ANC) und der UDF wird nun wahrscheinlich auch von COSATU als politische Grundlage angenommen werden. Die vier größten COSATU–Gewerkschaften (die Bergbau–, Metall–, Nahrungsmittel– und Einzelhandelsgewerkschaften) haben dies schon getan. Doch in der Freiheitscharta ist eine klassenübergreifende Opposition gegen die Apartheid festgeschrieben, die eine gemischtwirtschaftliche, vielrassische Demokratie als Vorstadium der endgültigen sozialistischen Gesellschaft in Südafrika vorsieht. Linke Gewerkschafter werden sich deshalb dafür einsetzen, die Freiheitscharta durch eine „Arbeitercharta“ zu ergänzen, in der die „führende Rolle der Arbeiterklasse“ im Befreiungskampf betont wird. Das ist eine Position, die die Gewerkschaften der „Black Consciousness“–Richtung zum größten Teil auch vertreten. Doch die heute im Nationalen Rat der Gewerkschaften (NACTU) zusammengeschlossenen BC–Gewerkschaften, haben politisch weniger Einfluß, obwohl sie mit insgesamt etwa 300.000 Mitgliedern nicht zu unterschätzen sind. Auch die NACTU–Gewerkschaften beteiligten sich anfangs an den Gesprächen, die zur Gründung von COSATU führten. Doch sie waren nicht bereit, Weiße als Führer und Funktionäre der Gewerkschaften zuzulassen, und verließen die Verhandlungen. Sie arbeiten dennoch in bestimmten Kampagnen mit COSATU zusammen. Schwierige Mitgliederwerbung Abgesehen von politischen Fragen hat COSATU im rein gewerkschaftlichen Bereich noch viel zu leisten. Nur ein Bruchteil der Millionen von Arbeitnehmern im Lande sind organisiert. Zwar haben die Bergarbeitergewerkschaft NUM mit etwa 300.000 und die Metallgewerkschaft NUMSA mit etwa 140.000 Mitgliedern erhebliche Fortschritte gemacht. Doch die zahlenmäßig stärksten, aber am schlechtesten bezahlten und am schwierigsten zu organisierenden Arbeiter, nämlich Hausangestellte und Farmarbeiter, dürfen bis heute per Gesetz nicht organisiert werden. Erste Ansätze dazu haben keine nennenswerten Erfolge erzielen können. Auch im öffentlichen Bereich, wo der Staat sich gegen die Einflußnahme der Angestellten in strategisch wichtigen Bereichen wehrt, ist die gewerkschaftliche Arbeit fast unmöglich. Tatsächlich ist die Organisierung von Arbeitern nur in den wenigsten Fällen unproblematisch. Liberale Kapitalisten helfen den Gewerkschaften zum Teil in der Hoffnung, eine besser überschaubare, stabilere Arbeitnehmerschaft zu entwickeln. Und ausländische Firmen stehen unter dem Druck von Verhaltensregeln wie dem 1976 vom schwarzen amerikanischen Anti–Apartheid Aktivisten Pastor Leon Sullivan veröffentlichten Sullivan–Kodex für amerikanische Firmen, oder dem 1977 verabschiedeten EG–Kodex für europäische Betriebe. Doch meist wird ein regelrechter Arbeitskampf gekämpft. Erst letzte Woche wurden beispielsweise mehr als 400 streikende Busfahrer südlich von Johannesburg von der Polizei verhaftet. Und während im BMW–Werk bei Pretoria allen Beteiligten zufolge vorbildliche Verhältnisse herrschen, streiken Arbeiter bei Mercedes in der Nähe von East London alle paar Monate. COSATU muß sich nicht nur gegen Arbeitgeber und den Staat verteidigen. Auch der Kampf gegen UWUSA (Vereinigte Arbeitergewerkschaft Südafrikas), die der Inkatha–Organiation von Zulu–Chef Mangosuthu Buthelezi nahesteht, ist zum Teil blutig geworden. Deshalb wird erwartet, daß der Kongreß die Gründung gewerkschaftlicher „Verteidigungskomitees“ beschließen wird, sodaß die Mitglieder sich gegen Angriffe rechter Gruppen auf koordinierte Weise wehren können.

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