: Großbritannien untätig gegen Kriegsverbrecher
■ Ein britischer Fernsehbeitrag liefert neue Beweise gegen in Großbritannien lebende, angebliche Kriegsverbrecher aus Litauen / Die Regierung Thatcher verweigert die Auslieferung mutmaßlicher Ex–Nazis an die UdSSR / Litauer Nazi–Kollaborateur schlimmer als Barbie
Aus London Rolf Paasch
Großbritannien ist einer der sichersten Aufenthaltsorte für ehemalige Nazi–Kollaborateure und Kriegsverbrecher aus Litauen und anderen Gebieten der Sowjetunion. Was Mitglieder des in Los Angeles ansässigen Wiesenthal– Zentrums schon in den vergangenen Monaten bei ihren Reisen nach Großbritannien feststellen mußten, wurde von einem am Mittwochabend gesendeten Fernsehbeitrag des schottischen Fernsehens nun bestätigt. In Großbritannien lebt derzeit eine beträchtliche Anzahl von in der Sowjetunion schwerer Kriegsverbrechen Beschuldigter; und die Regierung Thatcher vermeidet alles, um den geruhsamen Lebensabend der noch lebenden mutmaßlichen Ex– Nazis zu stören. Der Fernsehbeitrag brachte am Mittwochabend vor allem neue Informationen über die Kollaboration des heute 71jährigen Antonias Gekas mit den nach Litauen eindringenden Nazi–Truppen ans Tageslicht. Die Fernsehleute stellten Dokumente der sowjetischen Strafverfolgungsbehörden und Zeugenaussagen über das grausame Vorgehen des 12. Litauischen Polizeibataillons zusammen, in dem sich Gekas als willkürlich mordender Zugführer hervortat. Der jetzt in Edinburgh lebende Pensionär gibt zwar zu, Mitglied dieses Polizeibataillons gewesen zu sein, streitet aber jegliche persönliche Verwicklung in Massen erschießungen ab. Unter dem Nazi–Terror fanden allein in Litauen rund 200.000 meist jüdische Zivilisten den Tod. „Nachdem die nächste Gruppe niedergestreckt worden war“, so berichtet ein 73jähriger Augenzeuge am Schauplatz der Massenexekutionen in Litauen vor den schottischen Kameras, „trat Gecevicius (so der damalige Name Gekas) mit anderen Offizieren in die Gräben und tötete die Opfer, die nach der ersten Salve noch lebten.“ Gekas, so ein Nazi–Jäger des Wiesenthal–Zentrums, habe weitaus mehr Juden umgebracht als Klaus Barbie, lebe heute aber ungestört als britischer Bürger in Großbritannien. In der vergangenen Woche hatten Mitglieder des Wiesenthal–Zentrums erneut den britischen Innenminister aufgesucht, um ihm weitere 1.100 Seiten Dokumente über die angeblichen Kriegsverbrechen von Gekas und den anderen rund 50 in Großbritannien lebenden Kollaborateuren zu übergeben. Innenminister Douglas Hurd, der die Beweislage gegen Gekas noch im März dieses Jahres als „sehr dürftig“ bezeichnet hatte, zieht sich unterdessen weiterhin auf eine rein legalistische Interpretation der Sachlage zurück. Da die Beschuldigten zum Zeitpunkt ihrer Verbrechen noch nicht die britische Staatsangehörigkeit besessen hätten, könnten sie in Großbritannien nicht vor ein Gericht gestellt werden. Und ein Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und der Sowjetunion bestehe nun einmal nicht. Dieser Rückzug auf die rein gesetzlichen Probleme bei der Strafverfolgung hält nicht nur Rabbi Hier für „absurd“. „Wozu haben die denn ein Parlament“, fragte er schon bei seinem letzten Besuch in London.
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