piwik no script img

Vom Elend der britischen Linkspresse

■ Der Versuch, den rechten Blut– und Busenblättern ein linkes Massenblatt (News on Sunday) entgegenzusetzen, ist nach drei Monaten gescheitert

Aus London Rolf Paasch

Die Führung der britischen Labour Partei feuert den Chefredakteur des Parteimagazins New Socialist, weil der von der Parteilinie abgewichen ist. Der britische Zeitungstycoon Robert Maxwell stellt über Nacht die Produktion seiner neu auf den Markt geworfenen Tageszeitung London Daily News ein, weil ihm der größenwahnsinnige Versuch statt einer Abendzeitung ein 24–Stunden–Blatt zu produzieren, pro Woche Verluste von einer Mio. Pfund (drei Mio. DM) einbrachte. Und das Projekt, mit der News on Sunday endlich ein „linkes radikales Blatt mit Qualitätsjournalismus“ an die Arbeiterklasse zu bringen, endet nach knapp drei Monaten in den Fängen eines Multimillionärs. Naives Politikverständnis, blinde Solidaritätsansprüche und die Unfähigkeit, ein linkes Zeitungsprojekt in den Grenzen des kapitalistischen Zeitungsmarktes - sei es als Kommerzbetrieb oder als Kooperative - vernünftig zu „managen“, haben in Großbritanien in den letzten drei Wochen drei linke Zeitungsprojekte scheitern lassen, und dies zu einem Zeitpunkt, da die britische Linke nach - bisher - achtjähriger ideologischer Dominanz der Konservativen nichts nötiger hätte, als eine mediale Plattform zur Diskussion und zum Transport eigener pogressiver Ideen. Für das bisher größte radikale Projekt Großbritanniens waren bis zum April dieses Jahres 6,5 Mio. Pfund (knapp 20 Mio. DM) zusammengetrieben worden. Gewerkschaften und linke Labour– Stadtverwaltungen gaben Millio nenkredite zur Finanzierung der Zeitungs–Menschen und -Maschinen. Als symbolische Geste wurde der Redaktionssitz ins nördliche Manchester, wo Labour noch die Mehrheit hat, verlegt. Umfangreiche Marktforschungsstudien hatten dort einen potentiellen Leserstamm von bis zu 1.5 Mio. Lektürewilligen vermutet. Ein Gründer–Trust sollte verhindern, daß sich ein Teilhaber mehr als 15 Mitarbeiter wieder: man und frau teilte sich das Blatt (Quotierungsregelung bei den Mitarbeitern), war gegen Rassismus und Sexismus sowie für die Unterstützung aller gewerkschaftlichen Aktionen, sofern diese nicht gegen andere Punkte der Satzung verstie ßen. Man und frau gab sich internationalistisch, war für den Rückzug der Briten aus Nordirland, für den Umweltschutz und einseitige Abrüstung, aber gegen Tierquälerei. Das Ganze klang zwar wie die Resolution einer etwas chaotischen Studentenversammlung, tat aber dem blinden Optimismus aller Beteiligten keinen Abbruch. Doch spätestens das blaue Auge, mit dem der „Publicity Manager“ von News on Sunday, Kevin Mousley, rund zwei Wochen vor dem Startschuß Anfang April den taz–Reporter empfing, deutete auf erhebliche Schwierig keiten in der Phase der Selbstbestimmung hin. Die Streitpunkte zwischen den verschiedenen Fraktionen in der noch nicht existierenden Zeitung waren schon nicht mehr argumentativ lösbar. Schon zur Jahreswende hatte Großbritanniens Starjournalist, John Pilger, das Handtuch geworfen, als er bemerkte, daß einige seiner Kollegen nur einen linken Abklatsch des Murdoch– Schmutzblattes Sun zusammenstellen wollten. Linksradikal wie ein Bistumsblatt Die 65seitige Nullnummer seines Nachfolgers Keith Sutton bestätigte dann Pilgers ärgste Befürchtungen. Eine katastrophal schlechte Werbekampagne die mit ihrem sexistischen Unterton (“No tits but al lot of balls“) auch noch gegen die eigene Satzung verstieß, gab dem Blatt schon vor der ersten Ausgabe einen schlechten Ruf. Nach dem anschließenden Wechsel der Werbeagentur hatten am Erscheinungstag des 26. April ganze zwölf Prozent der Briten von News on Sunday gehört. Und schon die erste Ausgabe enthüllte, daß sich die Zeitungsmacher unter ihrer soziologischen Zielgruppe der „C 1 und C 2 Leser“ nichts besseres als biertrinkende Macho–Prolos aus dem englischen Norden vorstellen konnten. Auch die weiteren Ausgaben zeigten soviel Radikalität, investigativen Journalismus und Biß wie die Kirchenzeitung des Bistums Aachen, nur das diese besser geschrieben ist. Der programmatische Internationalismus erschöpfte sich in der Titelstory von dem Brasilianer, der vor lauter Ar mut seine Niere verkaufen mußte, die Sektion Innenpolitik kam mit einem zum Stadtrat aufgestiegenen Punk daher und die Recherchen der Insiderstories beschränkten sich auf das journalistische Recycling von bereits Enthülltem. „Die Leute, die News on Sunday ins Leben riefen, verloren die Kontrolle über ihr eigenes Projekt; und während sie gegeneinander kämpften, rissen die sogenannten Professionals die Macht an sich und entfernten die Zeitung damit von ihrem ursprünglichen Anspruch“, so lautete die kurze und treffende Analyse des Debakels durch einen ehemaligen Mitarbeiter. Kein Wunder, daß die Zeitung ihr Ziel, sich mit 800.000 verkauften Exemplaren rund vier Prozent des sonntäglichen Zeitungsmarktes zu erobern, um Längen verfehlte. Als die Auflage sich nach einer äußerst langweiligen Wahlberichterstattung im Juli auf 300.000 eingependelt hatte, kam, was kommen mußte: der ehemalige Viehhändler und jetzige Besitzer lokaler Kabelradiostationen, Owen Oyston, sprang ein, um das Blatt zu retten und schließlich de facto zu übernehmen. Das Rezept des selbsgemachten Millionärs stammte aus der Thatcher–Küche: Die redaktionelle Belegschaft wurde von 60 auf 23 gekürzt, dem Blatt „etwas weniger Schwermut“ verschrieben. Statt Politik schmückte in der vorletzten Woche bereits eine leichtgeschürzte „Madonna“ die Titelseite. So aufgepeppt und mit drastisch reduzierten Kosten will der König des Kabelradios die dahinvegetierende Sonntagszeitung bis in den Herbst durchbringen, um das Blatt dann mit weiteren acht Mio. Pfund neu auf dem Markt zu etablieren. „Die linken Gewerkschaften, die das Projekt demnächst wieder mit den Geldern ihrer Mitglieder stützen sollen, werden dann eine Zeitung unterstützen, die sich unter der Kontrolle eines Bewunderers von Margaret Thatcher befindet, einen der sozial–liberalen Allianz nahestehenden Chefredakteur hat und der modernen Wissenschaft vom kommerziellen Erfolg verpflichtet ist“, so zwei frühere Mitarbeiter der Zeitung, die über die traurige Saga linken Zeitungsmachens jetzt ein Buch schreiben wollen... Verlegerischer Größenwahn Viel anderes bleibt den jetzt entlassenen News on Sunday Journalisten auch nicht übrig. Denn auf dem eh kaum existierenden Arbeitsmarkt für linke Schreiber treffen sie seit zwei Wochen noch auf 200 über Nacht fristlos entlassene Kollegen der London Daily News, einer labour–orientierten London–Zeitung des Großverlegers Robert Maxwell. Im Gegensatz zu News on Sunday kam das Ende der London Daily News völlig überraschend. Denn von der ersten Ausgabe im Februar an war es hier den von Maxwell angeheuerten Journalisten gelungen, ein gut geschriebenes, professionell gemachtes Boulevardblatt zu produzieren, daß trotz der rechten Labour–Haltung ihres Verlegers mehr politischen Biß hatte, als die so radikal angekündigte Wochenzeitung. Was der London Daily News am Ende das Genick brach, war die großherrliche Entscheidung des Verlegers, es nicht bei einer traditionellen Londoner Abendzeitung zu belassen, sondern eine 24–Stundenzeitung in sechs verschiedenen Auflagen durch die Druckpressen zu jagen. Dies trieb die Redaktionskosten in die Höhe und kostete die Mitarbeiter nach fünf Monaten ihre Jobs. Unter den Journalisten der London Daily News, die am vergangenen Freitagabend aus den Nachrichten erfuhren, daß sie am nächsten Morgen nicht mehr zur Arbeit erscheinen brauchten, war auch Stuart Weir. Nur Wochen nachdem er von der Labour–Party als Chefredakteur des Labour– Magazins New Socialist gefeuert worden war, steht er nun zum zweiten Mal auf der Straße. Unter seiner Regie hatte sich das Monatsmagazin der Labour– Party zu einer der interessantesten linken Publikationen herausgebildet, in der auch grüne und unkonventionelle Ideen diskutiert werden konnten. Waren schon Weirs Pläne, den New Socialist finanziell von der Labour–Party zu lösen und auf dem Aktienmarkt zu „floaten“, von der Parteiführung verzögert worden, so hatte Partei– Führer Neil Kinnock kurz vor den Wahlen mit einem umstrittenen Artikel Weirs endlich den lange gesuchten Vorwand gefunden, sich des innovativen Chefredakteurs zu entledigen. Weir hatte es dem kommunistischen Historiker Eric Hobsbawm nachgetan und Labour–Anhänger in von der Partei nicht zu gewinnenden Wahlkreisen zur Wahl der sozial–liberalen Allianz aufgefordert. „Ich hatte mich halt in meinem Denken zu weit von der Labour Partei entfernt“, so erklärte er der taz gegenüber seinen Rausschmiß.“ Auch nach drei aufeinanderfolgenden Wahlniederlagen gegen die Konservativen mag sich die Labour Partei immer noch keine kritischen Stimmen leisten - schon gar nicht solche, die eine längst überholte Form von „Labourismus“ überwinden wollen. „Erfahrung mit linken Zeitungen“, sagt Steward Weir heute nicht ohne Zynismus, „das ist in diesen Tagen eine deprimierende Geschichte.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen