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Kein Gruppenbild mit Italiens Radikalen

■ Die Ära der italienischen Provo–Partei „Partito Radicale“ neigt sich dem Ende zu / Auch Parteichef Marco Pannella fällt nichts mehr ein, seine taktischen Winkelzüge verspielen das Prestige bei der Basis / Der Masseneintritt von Baghwan–Jüngern war so umstritten wie die Abkehr von der strikten Anti–Atom–Politik

Aus Rom Werner Raith

Der Auftrag war eilig; sogar Telefaksimile wurde bemüht: Die Hamburger Tempo–Redaktion ließ beim taz–Korrespondenten anfragen, ob er nicht Wege habe, die Fraktion der italienischen „Radikalen Partei“ zu einem Gruppenfoto zu bewegen, zwecks Illustration eines schönen Artikels über die Gruppierung des Marco Pannella. Doch da war nichts zu machen: Parteileitung wie Fraktionsvorstand winkten, fast entsetzt, ab: Gruppenbild - unmöglich. Die Ablehnung ist keineswegs politischer Dezentheit oder gar ideologischer Genierlichkeit zu danken: Es ist ganz einfach unmöglich geworden, das Häuflein der Radikalen, wiewohl nur dreizehn Personen stark, zu vereinen - physisch wie ideologisch. Zerstritten bis in die kleinsten Details, von Auflösungs– und Zentrifugalkräften in alle Himmelsrichtungen zerstiebend, rumpelt der „Partito radicale“ (PR) immer mehr in die Bedeutungslosigkeit hinein. Selbst der ansonsten für jede Überraschung gute „historische“ Führer Marco Pannella zieht niemanden mehr an. Dabei war „PR“ ebenso wie „Pannella“ einst das Synonym für erfolgreiches Provozierertum, für Riesenwirkung mit kleinen Mitteln (die Partei hat nie mehr als gut zwei Prozent errungen) - und Italien verdankt Pannella und seinen Radikalen in der Tat eine Menge. Hervorgegangen aus einer Spaltung der Liberalen Partei 1956 (da war Pannella, einer der Wortführer der linken Liberalen, gerade 26), betätigten sich die „Radikalen“ zunächst rein außerparlamentarisch, wiesen auf aller hand Mißstände hin und nutzten früh das Mittel der Provokation, vom Hungerstreik bis zum Eindringen in polizeiliche Absperrungen. Die „Stunde“ der Radikalen aber kam, als sie das Medium des Referendums entdeckten - trotz ihrer nur wenigen Wahlprozente setzten sie Riesenveränderungen durch. So etwa die in Italien bis in die frühen siebziger Jahre unmögliche Ehescheidung: Da provozierten sie zunächst durch eine Referendumsdrohung das träge Parlament zur Verabschiedung der „divorzio“–Gesetze, und führten dann, als die Bischöfe ihrerseits die Christdemokraten zu einem Referendum zwecks Wiederabschaffung der Scheidung zwangen, die Front der Abschaffungs– Gegner an. Von da an war Pannella, innerhalb der Partei selbst bereits unumstrittener „Leader“, im ganzen Land als eine Art Volkstribun anerkannt, ein moderner Tiberius Gracchus sozusagen, der seine Finger auf die (unzähligen) verwundbaren Punkte des Machtkartells legte - Kommunisten inklusive, denen der „PR“ bald die Rolle der „wirklichen“ Opposition streitig machte. Ende der siebziger Jahre war er dann der Motor der Bewegung, die das Abtreibungsverbot aufheben wollte - was den Italienern immerhin die Fristenlösung gebracht hat. Seit Mitte der siebziger Jahre ließen sich die Radikalen auch in die diversen Parlamente wählen; Pannella gehört außer der Abgeordnetenkammer Italiens auch noch dem Stadtrat von Neapel und dem Europaparlament in Straßburg an. Ihre Wahlkampagnen betrieben die Radikalen überwiegend fast ohne Geld, aber so publicityt rächtig, daß sich Kommunisten und Christdemokraten die Augen rieben - meist mithilfe von „Provo–Kandidaten“, mit denen die „PR“ permanent Schlagzeilen bekam. So setzte Pannella 1983 den vier Jahre zuvor wegen angeblicher Rädelsführerschaft bei den Roten Brigaden eingesperrten „Autonomia operaia“–Führer Toni Negri aus Padua auf die Wahlliste - und brachte ihn ins Parlament, was seine Freilassung bedeutete. Ein Jahr danach holte er auf gleiche Weise, anläßlich der Wahlen zum europäischen Parlament, den wegen angeblicher Rauschgiftdealereien eingelochten Showmaster Enzo Tortora aus der Bedrouille; 1987, wie sattsam bekannt, ließ er Ilona Staller, dem italienischen Volk (und mittlerweile auch allen anderen) als „Cicciolina“ bekannte Strip– und Porno–Darstellerin, auf Stimmenfang gehen, mit Erfolg, sie wurde, gleich hinter Pannella selbst, mit der zweithöchsten Stimmenzahl der Partei gewählt. Doch was insbesondere im Ausland als grandioser Triumph eines Außenseiters gefeiert wurde, zeigte auch schon das nahende Ende des Pannellismus an. Schon die Provokationen des Vorjahres hatten erstmals das bislang dem „Führer Marco“ fast süchtig ergebene Fußvolk verwirrt. Da war unter anderem ein zu zweimal lebenslänglich Zuchthaus verurteilter Mafia–Boss in die Partei aufgenommen worden; und öffentlich hatte Pannella auch von einer Kandidatur des (flüchtigen) Chefs der kriminellen Geheimloge „Propaganda 2“, Licio Gelli, auf der PR–Liste geträumt. Auch der von Pannella begrüßte Masseneintritt von 2.000 bis 3.000 Baghwan–Jüngern stieß nicht überall auf Zustimmung. Das endgültige Desaster nahte nach der Wahl im Juni 1987. Nicht nur, daß sich „Cicciolina“ Pannellas Wunsch nach Mandatsniederlegung widersetzte, weshalb erst durch ein überaus kompliziertes Manöver ein Pannella wichtiger Partei–Oldtimer nachrücken konnte; auch noch ein anderer „Provo“ weigerte sich, sein schon von der Parteileitung formuliertes Demissionsschreiben abzuschicken: Alberto Bertuzzi, den die Radikalen wegen einiger Aufrufe zum „zivilen Ungehorsam“ hatten kandidieren lassen, der aber auch ein Erzreaktionär und energischer Befürworter von Atomkraftwerken ist (die die Radikalen mit anderen Gruppen gerade per Referendum bekämpfen). Die Partei veröffentlichte daraufhin ein böses „Dossier“ über Bertuzzis privates Geschäftsgebaren - was beim Fußvolk freilich nur die Frage provozierte, wie der da auf die Liste gekommen war. Fraktionschef Rutelli trat zurück. Was vordergründig als Gerangel um Personenkulte erscheint, hat natürlich einen anderen Hintergrund: Die Zeit, in der man durch reines Lächerlichmachen, durch punktuelle persönliche Provokation in Italien Politik machen konnte, ist offenbar vorbei. Die Angst vor AIDS und Atomkatastrophen, die Kriegsangst und die Massenarbeitslosigkeit lassen wenig Raum für noch so treffende Kapriolen. Fast die Hälfte der potentiellen Radikalen–Wähler ist (nach Umfragen) daher auch schon zu den Grünen abgewandert. Pannella hat es wohl kommen sehen: Voriges Jahr machte er den Vorschlag, seine Partei aufzulösen; doch dann ließ er sich auf einen Handel ein: Wenn man innerhalb von zwei Monaten 10.000 neue Mitglieder werben könne, würde man weitermachen. Das schien, angesichts der bisherigen nur 2.500 Radikalen, unmöglich; doch Pannella hatte sich verkalkuliert: Ein Massenzulauf brachte die geforderte Quote mühelos zustande. Weshalb Pannella die Selbstauflösung seiner Person und der Partei nun im Parlament weiterbetreibt - mit allen Mitteln drängt er in die Koalition, biedert sich den Sozialisten, mitunter gar den Christdemokraten an, gibt sogar seine Anti–Atom–Positionen auf (“Ein bis zwei AKW könnte man notfalls akzeptieren“). In Neapel hat ihm die Mitte–Links–Koalition, als Dank für seine Unterstützung, bereits den Vorsitz in der Umweltkommission überlassen. „Wenn es so weitergeht“, sinnierte das Satireblatt Tango, „nimmt Pannella noch ein böses Ende - er wird Minister.“ Weit davon entfernt ist er nicht mehr.

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