: Gefängnisrevolte als neofaschistische Aktion
■ Seit Dienstag halten acht neofaschistische Häftlinge im Gefängnis von Porto Azzurro auf der Insel Elba 24 Geiseln fest / Ihr Anführer Tuti wurde wegen des Anschlags auf den „Italicus“–Schnellzug verurteilt / Vor neuen bleiernen Jahren?
Aus Porto Azzurro W. Raith
Der Einsatzbefehl bezweckt, wie der Carabinieri–Oberst an der „Ascesa del castello“ in einem Anflug von Sarkasmus bemerkt, „das, was wir sowieso am besten können - Konfusion verbreiten“. Durch ständige Bewegungen der Polizeiautos und der Panzerspähwagen und unentwegt herumbrummende Helikopter sollen dort oben, in der zum Gefängnis umgebauten Spanier–Burg, acht Geiselnehmer verunsichert, ihr Kombinationsvermögen gestört, ihre Entschlossenheit geschwächt werden. Seit Dienstag elf Uhr haben sie sich in der Krankenstation und der Apotheke der Strafanstalt des Städtchens Porto Azzurro auf der Insel Elba verbarrikadiert, halten 24 Geiseln fest, darunter den Direktor, den Anstaltspsychologen und einige Krankenschwestern, und drohen mit einem Blutbad, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Die allerdings könnten aus dem Konfusionsrepertoire des Carabinieri–Einsatzplanes stammen: Einmal wollen sie das gepanzerte Auto des Gefängnisdirektors vorfahren lassen, dann soll unten im kleinen Hafen von Porto Azzurro ein Schnellboot der Finanzpolizei zur Verfügung gestellt werden, dann wieder brauchen sie einen Hubschrauber mit einer Kapazität für acht Personen. Eingerückt sind inzwischen die Sonderkommandos der „NOCS“, einer Art GSG9 mit Spezialausbildung zur Terroristenbekämpfung. Sie gehen auf den legendären, später von der Mafia ermordeten General dalla Chiesa zurück - „und den bräuchten wir jetzt“, wie der stellvertretende Einsatzleiter brummt, „dem würde schon was einfallen. Sonst geht das wieder los wie in den siebziger Jah ren.“ Die Assoziation mit den „bleiernen Jahren“ kommt derzeit nicht nur ihm: Ähnlich wie zur Zeit der „Roten Brigaden“ das Ausbrechen oder Herausholen aus dem Knast fast schon zum italienischen Alltag gehörte, mehren sich in den letzten Monaten eindeutig von außen unterstützte Ausbruchsversuche; aus dem Hochsicherheitszuchthaus Rebibbia in Rom entfleuchten zwei Häftlinge per Hubschrauber, in Padua buddelten sie sich schon halb ins Freie, in „San Vittore“ in Mailand und in Barcellona auf Sizilien wurden ähnliche Versuche entdeckt. Fast immer handelt es sich dabei neuerdings um Rechtsextremisten oder Schwerkriminelle mit Verbindungen zu diesem Ambiente. Dalla Chiesa hatte seinerzeit die Ausbrüche (damals fast ausschließlich Linker) gestoppt, indem er die Häftlinge ständig in ganz Italien hin– und herschob, so daß keiner längerfristig Ausbruchstrategien entwickeln konnte. Das Schub–System ist allerdings gerade vor wenigen Wochen in Verruf gekommen - der „schöne Renee“, Italiens Obergangster, war just bei der Verladung auf eine Zuchthausinsel durch das Bullauge des Transportschiffes entschlüpft. Die Geiselnahme auf Elba zeigt jedoch noch andere Dimensionen als die bloßen Ausbrüche der Vergangenheit; es ist auch eine politische Demonstration, eine Schau des Durchhaltens politischer Ideologien. Die Rückgewinnung der Freiheit ist nur die eine Seite, die vorgeführte Staats–Ohnmacht soll die andere werden. Fünf der acht Geiselnehmer sind sardische Banditen mit engen Verbindungen zur dortigen Unabhängigkeitsbewegung; der Anführer der acht ist Mario Tuti, der „tatkräftigste“ Neofaschist Italiens; allesamt haben sie nichts zu verlieren, jeder hat lebenslänglich, Tuti gar dreifach. Mario Tuti meldet sich in der Nacht bei der Nachrichtenagentur ANSA. Standesgemäß läßt er sich vom Gefängnisdirektor ankündigen und beginnt dann seine Rede weder mit Drohungen noch mit Forderungen - sondern mit der Erklärung: „Ich bin kein Krimineller, ich bin ein politischer Gefangener“ - so, wie er es seit 1975, als ihn Frankreich an Italien auslieferte, in allen Gerichtssälen unentwegt wiederholt hat. So bei den Prozessen um die Neugründung der verbotenen faschistischen Partei, so bei den Verfahren wegen seiner Beteiligung an der „Fronte nationale rivoluzionario“, verantwortlich für zahlrei che Dynamit–Attentate, so beim Prozeß wegen Ermordung eines Polizisten durch Tuti, ebenso wie beim Urteil wegen des Anschlags auf den „Italicus“–Schnellzug (zwölf Tote), und so schließlich auch, nachdem er im Gefängnis höchstpersönlich einen ehemaligen Mitstreiter stranguliert hatte, dem er Aufrufe zum Ablassen von den blindwütigen Anschlägen ankreidete. Die Polizisten - gut 400 um das Gefängnis herum, gut 1.000 auf der Insel verteilt - werden nervös, einige brechen in hysterisches Gelächter aus, als die Meldungen über Tutis Suada bekanntwerden; der einsatzleitende Staatsanwalt Cingolo brüllt per Megaphon: „Wenn auch nur ein Tropfen Blut fließt, knallen wir euch alle nieder.“ Ein Zeichen, wie sie Tuti fürchten und hassen; und wie sehr sie sich auch bewußt sind, daß sie kein Rezept haben. „Dalla Chiesa, dalla Chiesa“, brummt der NOCS–Vize wieder; vielleicht denkt er an die „Befriedung“ des Aufstandes im Gefängnis von Alessandria 1975, die dalla Chiesa durchgeführt hatte. Mehrere Tote blieben da liegen; doch wie sich später herausstellte, hatte der General den vom Staatsanwalt verfügten Einsatzbefehl lange verweigert, weil er wußte, daß Stürmen Töten heißt. „Was würdet ihr Deutschen denn da machen?“, fragt mich ein Carabinieri–Leutnant aus seinem gepanzerten Wagen heraus - offenbar hält er jeden Germanen für einen GSG9–Mann. „Da hineinkommen, per Blitzaktion, ist faktisch unmöglich“, sinniert er, „was die Stärke des Knastes ist, die Ausbruchssicherheit, ist die Stärke der Revoluzzer - die Einbruchssicherheit.“ In Rom hat sich der Krisenstab angeblich zur „fermezza“ entschlossen - ein unseliges Wort, denn es stand just 1978, auf dem Höhepunkt der „bleiernen Jahre“, für die „Härte“ im Fall der Entführung Aldo Moros, die dann mit dessen Tod endete. Justizminister Vasalli und Innenminiser Fanfani, beide eben erst ins Amt gekommen, haben mit der Affäre ein schreckliches Ei gelegt bekommen - gerade sie waren es seinerzeit, im Fall Moro, die zum Verhandeln rieten, „weil man um jeden Preis Menschenleben schonen muß“. Daß sie diese Linie hier durchsetzen können, erscheint allerdings fraglich. „Ein standesgemäßer Abflug der Banditen“, entsetzt sich der NOCS–Vize, „per Hubschrauber nach Frankreich - da kann einem ja der Finger am MP–Abzug durchgehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen