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Armenier fordern Fabrikschließung

■ Die verdreckte armenische Hauptstadt Eriwan müßte nach Ansicht von sowjetischen Umweltschützern evakuiert werden

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - „Beeinträchtigt die Umweltzerstörung auch das Radio Eriwan?“ fragte ein Anrufer. „Im Prinzip nein, wir haben unsere Studios aus anderen Gründen nach Moskau verlegt“. Ob die dennoch dauernde Präsenz des Radios den Demonstranten vom 1. September diente, sei dahingestellt. Als sich rund 200 Umweltschützer vor einer Chemiefabrik in Eriwan versammelten und die Schließung forderten, blieb die Polizei jedenfalls im Hintergrund und die Direktion der Fabrik empfing zehn Delegierte, um sich deren Beschwerden anzuhören. Deren gibt es genug. Das dicht besiedelte Armenien befindet sich nämlich mitten in einer Umweltkatastrophe. „Fast ein Drittel der 3,5 Millionen Einwohner der armenischen Republik lebt in dem Becken von Eriwan, dessen Atmosphäre lebensbedrohend vergiftet ist“, schrieben schon im März 1986 armenische Umweltschützer an ihren Parteichef Gorbatschow. „Auf der Stadt lastet an 165 Tagen im Jahr eine dicke Smogwolke. Nach internationalen Maßstäben müßte wegen der Luftverschmutzung in dem Gebiet mehr als eine halbe Million Menschen evakuiert werden. Eine Großzahl der armenischen Flüsse sind schon biologisch tot, andere sind praktisch für die Trinkwasserversorgung ausgefallen.“ Die Werte liegen zum Teil 100 und 1.000fach höher als die in der Sowjetunion zulässigen, klagen die Verfasser. Kein Wunder, daß die Armenier um ihre Gesundheit fürchten. Die Erkrankungen der Atemwege, Magen, Darm und Lungenleiden haben erschreckend zugenommen. Mißgeburten und Unfruchtbarkeit sind soweit gestiegen, daß manche schon von einem Völkermord an den Armeniern sprechen. „Die Bewegung zum Erhalt der armenischen Nation“, wie sich die Umweltschützer nennen, reflektiert mit ihrer Namensgebung auf makabre Weise den Grad der Verschmutzung und der Bedrohung für die Menschen in dieser südlichen Sowjetrepublik. Die in den fünfziger Jahren betr heutige dramatische Situation angegeben.“ In ihrem Brief vom März 1986 forderten die armenischen Umweltschützer schon Monate vor der Katastrophe von Tschernobyl, den damaligen Leiter für Atomernegie in der Sowjetunion, Petrossjanz, wegen „Staatsverbrechen“ zu bestrafen.

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