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Über Bonn grollt der Theaterdonner

■ Pershing–Streit: CSU ist brüskiert / Kohl: „Ich wars alleine“ / FDP: Aber Genscher war Erster

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Die Papierflut–gewöhnten Bonner Journalisten nahmen das Schriftstück behutsam mit spitzen Fingern und trugen es heim für die Kuriositätensammlung. Die Pressemitteilung des Kanzleramts, die gestern morgen im Pressehaus herumlag, umfaßt ganze fünf Zeilen: „1. Die Entscheidung von Bundeskanzler Helmut Kohl, in seiner Pressekonferenz am 26. August eine klarstellende Erklärung zu den 72 Pershing 1A abzugeben, war mit dem Außenminister nicht abgestimmt.“ Punkt 2 verkündet: „Die Erklärung ist verbindlich.“ Daß Kohl in dieser absonderlichen Form darauf beharrt - „ich wars, und ganz alleine“ - hat dem Streit um die Raketen, eine Frage von internationalem Belang, nunmehr die Züge eines Kasperletheaters verliehen. Aus München ist weiter das laute Klatschen der Pritschen zu hören. Im Fernsehen am Donnerstag abend ging Strauß den Kanzler wieder heftig an und sagte, „zum Glück“ werte er die Vorgänge nicht als Ergebnis logischer Überlegungen, sonst wäre die Schlußfolgerung „wirklich bitter“. In Bonn ist derweil das Turnen über Fußangeln zwischen Auswärtigem Amt, FDP–Fraktion und Kanzleramt der Sport des Tages. Zwar hatte sich Genscher am Vortag auf die Kohlsche „Ich–alleine“–Linie bringen lassen und dementiert, daß die Raketenerklärung mit ihm abgesprochen gewesen wäre. Fortsetzung auf Seite 2 Doch der Versuch des Kanzlers, den erbosten Strauß damit zu beschwichtigen, daß doch auch Genscher brüskiert worden sei, verhakt sich im nicht ganz so kurzen Gedächtnis der FDP–Fraktion. Der klingen noch andere Worte ihres Außenministers im Ohr. Fraktionssprecher Heydeck blieb gestern dabei: „Genscher hat Kohl selber auf die Notwendigkeit einer Erklärung hingewiesen.“ FDP– Generalsekretär Haussmann hatte bereits am Donnerstag abend eindeutig erklärt, daß es vor Kohls Raketen–Pressekonferenz ein Gespräch mit der FDP gegeben habe. Im Nebel der Erklärungen werden die Konturen der jüngsten Facette des Streit–Theaters deutlich: Die FDP hält Genscher die Stange, doch der will sie gar nicht und hält sie lieber Kohl. Der wiederum präsentiert seinen Außenminister als zweitrangig, damit Strauß sich nicht drittrangig fühlt. Aber Strauß glaubt das alles nicht: „Neuer Groll bei der CSU“, wurde gestern nachmittag aus München gefunkt.

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