: Zukunft um ein Jahr verschoben
■ Der britische Gewerkschaftskongreß tagt in Blackpool / Streit um Streikverzichtsabkommen vertagt / Ausschluß der Elektrikergewerkschaft wurde umgangen / Kampagne gegen Regierungspläne beschlossen
Aus London Rolf Paasch
Eigentlich sollte der diesjährige Kongreß der britischen Gewerkschaftsbewegung den endgültigen Aufbruch in die Zukunft bringen. Doch die Konferenz, zu der der Dachverband TUC seine Mitgliedsgewerkschaften ins nordenglische Seebad Blackpool gerufen hatte, wurde erneut von den Auseinandersetzungen der Vergangenheit beherrscht. Gegenstand der hitzigen Diskussion am ersten Tag des Kongresses waren die umstrittenen Streikverzichtsabkommen, für manche der „Weg in die Zukunft“, die immer häufiger zwischen rechtsgerichteten Gewerkschaften und Unternehmern abgeschlossen werden. Nur mit letzter Kraft gelang es am Montag der TUC–Führung, die beliebten Selbstzerfleischungsszenen gar nicht so solidarischer Gewerkschafter vor den Augen der Fernsehkameras noch rechtzeitig ab zubrechen. Der Kongreß entschied am Ende mit großer Mehrheit, die Frage, ob die Streikverzichtsabkommen noch mit den traditionellen Gewerkschaftsprinzipien vereinbar sind, an eine Sonderkommission zu verweisen. Diese soll dem Vorstand des TUC nun binnen eines Jahres eine Empfehlung unterbreiten. Für die radikalen Bergarbeiter unter Führung Arthur Scargills kam diese Entscheidung einem typisch „faulen TUC–Kompromiß“ gleich, während die rechte Elektrikergewerkschaft - die so begierig ist, ihr Streikrecht gegen ein materielles Entgegenkommen des jeweiligen Arbeitgebers einzutauschen - nun auf eine Tolerierung der Streikverzichtsabkommen hofft. Sollte der Sonderausschuß dagegen den nicht nur von den Elektrikern geforderten Sprung in ein streikloses 21. Jahrhundert nicht wagen, bliebe dem Dachverband im nächsten Herbst nur noch der endgültige Rausschmiß der Elek trikergewerkschaft (EEPTU). Ein Rausschmiß, der, wie der zweite Sitzungstag offenbarte, vor allem von den Druckarbeitern als unvermeidlich angesehen wird. Wie schon im letzten Jahr warfen sie der EEPTU im Arbeitskonflikt von Wapping Kollaboration mit dem Zeitungsverleger Rupert Murdoch vor. Dessen Verlag news international hatte im Januar 1986 6.000 Druckarbeiter fristlos entlassen und Mitglieder der Elektrikergewerkschaft als Streikbrecher mit Hilfe neuer Zeitungstechnologie seine vier Zeitungen herstellen lassen. Der einjährige Streik der Druckarbeiter war Anfang diesen Jahres aus mangelnder Solidarität der anderen Gewerkschaften zusammengebrochen. „Alles Lüge“, fuhren erboste Gewerkschafter dem Elektrikerchef Eric Hammond in die Parade, als der die Kollaborationsvorwürfe bestritt. Streikbrecher beziehungsweise die Pläne der Regierung, die rechtliche Position der „Scabs“ durch ein neues Anti–Gewerkschaftsgesetz weiter zu stärken, standen auch auf dem nächsten Tagesordnungspunkt. Einstimmig wurde am Dienstag eine Kampagne gegen die Regierungspläne beschlossen, das Recht auf Arbeit für Streikbrecher auch nach einer mehrheitlichen Abstimmung für einen Streik rechtlich zu verankern.
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