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Le Pen: Holocaust ist „Detailfrage“

■ Kandidat der rechtsextremen „Nationalen Front“ für die französischen Präsidentschaftswahlen hat „die Gaskammern nicht gesehen“ / Herausforderung an die Bürgerlichen, Farbe zu bekennen

Aus Paris Georg Blume

Der rechtsextreme französische Politiker Jean–Marie Le Pen hat mit einer Stellungnahme zur Judenvernichtung im Dritten Reich eine Welle des Protests in ganz Frankreich ausgelöst. Le Pen, Kandidat der „Nationalen Front“ für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr, hatte am Sonntag in einem Interview des privaten Rundfunksenders RTL die Judenvernichtung in den Gaskammern als eine „Detailfrage“ bezeichnet. Selbst die Regierung sah sich zur offiziellen Stellungnahme veranlaßt. „Die Erklärungen von Le Pen sind eine ausgezeichnete Lektion für diejenigen, die uns davon überzeugen wollen, daß die Demokraten einen Kompromiß mit den Thesen der Rechtsextremisten eingehen könnten, ohne sich zu verleugnen“, stellte der Staatssekretär für Menschenrechte, Claude Malhuret, fest. Am Sonntag hatte Le Pen in einem Radiointerview offen zu den Thesen des Lyoner Literaturdozenten Robert Faurisson Stellung genommen. Dieser hatte schon 1978 in Frankreich in der Tageszeitung Le Monde geschrieben: „Es gab keine einzige Gaskammer in einem deutschen Konzentrationslager: das ist die Wahrheit.“ Auf diese Feststellung Faurissons antwortete Le Pen nun, dem die Umfragen einen Stimmenanteil von zehn Prozent voraussagen: „Ich sage nicht, daß die Gaskammern nicht existiert haben. Ich habe sie selbst nicht sehen können. Ich habe die Frage nicht weiter untersucht. Ich sage, es gibt Historiker, die über diese Fragen diskutieren.“ Neben Malhuret haben am Montag und Dienstag französische Politiker aus allen anderen Parteien die Äußerungen Le Pens verurteilt. Doch steht es offen, ob es dem Rechtsradikalen nun gelingt, einen französischen „Politikerstreit“ nach Vorbild des bundesdeutschen Historikerstreits zu entfachen. Die ideologische Auseinandersetzung mit Le Pen ist insbesondere in den bürgerlichen Parteien RPR und UDF nie ernsthaft geführt worden. Der nun zum ersten Mal unverhüllt zur Schau gestellte Antisemitismus Le Pens knüpft ideologisch direkt an die französische Vorkriegsrechte an. Le Pen stellt die französische Politik vor die moralische Probe: Zwei Monate lang - während des Barbie–Prozesses - demonstrierte Frankreich in diesem Jahr Einstimmigkeit in der Verurteilung der faschistischen Verbrechen. Nur Le Pen schwieg zu dem Prozeß. Jetzt ist zu befürchten, daß viele, die zu Barbie sprachen, heute zu Le Pen schweigen.

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