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„Tiefer Fall in den „neuen Realismus“

■ Die britischen Gewerkschaften auf der Suche nach einem neuen Image und neuen Mitgliedern / Strategien für die Zukunft waren auch auf dem 119. Gewerkschaftstag des „Trades Union Congress“ Mangelware

Aus Blackpool Rolf Paasch

Vor zehn Jahren hatte der britische „Trade Union Congress“ (TUC), der Dachverband der britischen Gewerkschaften, schon einmal im nordenglischen Seebad von Blackpool getagt. Damals mischten die Gewerkschaftsführer noch kräftig im politischen Geschäft des ausgehenden Korporatismus zwischen Staat, Kapital und Arbeit mit. Meinungsumfragen nach dem mächtigsten Mann im Vereinigten Königreich sahen den Premier eng gefolgt von Gewerkschaftsbossen wie Jack Jones von den Transportarbeitern. Wie haben sich die Zeiten geändert. Die Männer, die sich in der vergangenen Woche zum 119. TUC–Kongreß wieder in Blackpool versammelten, schienen nur noch ein Schatten ihrer Vorgänger. Selbst die Presse, die an den traditionellen Gewerkschaftsscharmützeln innerhalb des TUC sonst reges Interesse hat, kam in diesem Jahr nur mit halber Mannschaft. Nach dem dritten Wahlsieg der Regierung Thatcher sind Gewerkschaften in Großbritannien einfach „out“. Die Gewerkschaftsaktivisten, Delegierten und Kämpen des industriellen „Shopfloors“ hatten diesmal in Blackpool die traurige Aufgabe, den schier unaufhaltsamen Fall ihrer Arbeiterbewegung zu analysieren und nach neuen Strategien Ausschau zu halten. Acht Jahre nach dem Amtsantritt der Eisernen Lady hat sich die Mitgliederzahl des TUC um 1/4 auf knapp 9 Mio. verringert, ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad von 55% auf 38 eine Privatisierung eines Staatsbetriebes und es wird in Großbritannien mehr Volksaktionäre mit Anteilen an den entstaatlichten Versorgungsunternehmen als Gewerkschaftsmitglieder geben. Die Massenarbeitslosigkeit von (je nach Zählweise) zwischen drei und vier Millionen hat den Kampfeswillen der Gewerkschaften erheblich geschwächt. Und selbst bei sinkender Arbeitslosigkeit werden die zunehmende Teilzeitarbeit sowie das Wachstum in den High Tec– und Dienstleistungsunternehmen die gewerkschaftliche Organisation der Arbeitnehmer weiter erschweren. Agitprop gegen Mitgliederschwund Kein Wunder, daß sich Gewerkschaftsführer und Delegierte in Blackpool diesmal auf Mitgliederjagd machten. Wenn es um bisher Nichtorganisierte, um Frauen, Schwarze und Teilzeitarbeiter(innen) gehe, dann müsse der Agitprop durch einen neuen Stil der Kommunikation ersetzt werden, so Barry Delaney, Mitbegründer der vom TUC neuerdings eingesetzten Werbeagentur. Daß ein neues, positives Gewerkschaftsimage her müsse, blieb weitgehend unbestritten, auch wenn er, so ein Anhänger der alten Garde, „mit dem ganzen Marketing–Gerede“ noch seine Schwierigkeiten habe. Hatte man auf den bisherigen Kongressen die Thatchersche Analyse von der Unpopularität der Gewerkschaften und ihrer oft recht zweifelhaften demokratischen Praktiken noch entrüstet ab gelehnt, so dämmerte nach dem dritten aufeinanderfolgenden Wahlsieg der Konservativen nun so manchem Gewerkschafter, daß - wenn schon nicht das Rezept ihrer Anti–Gewerkschaftsgesetze - so doch wenigstens die Diagnose der Tories richtig war. Der neue Realismus, den die Gewerkschaftsführung schon 1983 verkündet hatte, scheint in diesem Herbst in Blackpool nun endgültig ausgebrochen zu sein. Einige, vor allem die rechte Elektrikergewerkschaft, wollten die Anpassung an das industrielle Klima von Effizienz und Wachstum sogar so weit treiben, daß sie vom TUC die Annahme ihrer Streikverzichtsabkommen mit einzelnen Unternehmern forderten. Die Mehrheit lehnte noch ab und vertagte den Streit um die „No Strike Deals“ aufs nächste Jahr. In einer Zeit, wo die Einflußnahme der Gewerkschaft auf der politischen Ebene auf Null gesunken ist, scheint die Umorientierung der Elektrikergewerkschaft auf die betriebliche Ebene allerdings durchaus naheliegend. War die Rolle der Gewerkschaften, ihre soziale Vision einer gerechteren und effizienteren Gesellschaft, im Nachkriegskompromiß des Wohlfahrtsstaates noch über ihre politische Stellung innerhalb des Korporatismus vermittelt, so steht die Arbeiterbewegung im Thatcher–Zeitalter makroökonomischem Laissez faires und mikroökonomischer Wettbewerbskriterien nicht nur einflußlos, sondern auch ratlos da. „Um ihre Lähmung zu überwinden“, so definierte der Journalist Charles Leadbeater in der Zeitschrift Marxism today die Aufgabe der Gewerkschaften, „müssen sie zeigen, wie Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit, die Bedingungen für individuelle Prosperität in einer immer mehr vom freien Markt bestimmten Gesellschaft, mit den sozialen Zielen der Arbeiterbewegung wie dem Schutz der Arbeiter gegen die Auswüchse dieser marktorientierten Gesellschaft in Übereinstimmung gebracht werden können.“ Es war bestimmt kein Zufall, daß die deutsche Gewerkschaftsbewegung, besonders die IG Metall, in den vorsichtigen Strategiediskussionen am Rande des Kongresses plötzlich als leuchtendes Beispiel auftauchte.

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