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Die verzweifelte Suche nach der Mitte

■ Parteienfusion in Großbritannien: Ende des Liberalismus oder Liberalismus ohne Ende? / Die Liberalen legen auf ihrem Parteitag den Grundstein für ihre Auflösung / Name und Charakter der neuen Fusionspartei mit der SDP noch offen

Aus Harrogate Rolf Paasch

„Den Liberalismus abschaffen? Ganz und gar nicht.“ Entrüstet weist Tony Greaves von der „Vereinigung Liberaler Gemeinderäte“ diese Vermutung zurück. „Wir sind gerade dabei, den Weg für eine neue Partei zu ebnen, die uns Liberalen zur neuen Heimat werden kann.“ Anderen Delegierten auf dem diesjährigen Parteitag der britischen Liberalen bereitet die bevorstehende Fusion mit der Sozialdemokratischen Partei (SDP) dagegen noch Bauchschmerzen. „Paßt nur auf, meine Lieben“, so warnte Claire Brooks von der Kampagne „Ich bleibe ein Liberaler“ während der Fusionsdebatte vor der autokratischen Oligarchie der Sozialdemokraten mit ihren zentralistischen Ideen. Um diese von der liberalen Parteiführung angeregte Fusion mit der SDP drehte sich bei der diesjährigen Zusammenkunft der Liberalen in der nordenglischen Blumenstadt Harrogate einfach alles. War es das Ende einer über 100jährigen liberalen Geschichte, das sich hier anbahnte, oder wird der Zusammenschluß zwischen der Mehrheit der SDP und der liberalen Horde endlich die glaubhafte Alternative zu Thatchers Konservativismus bringen? Nachdem die beiden Davids, SDP–Chef David Owen und Liberalen–Häuptling David Steel, im letzten Wahlkampf der sozial–liberalen Allianz wie das doppelte Lottchen durchs Land getingelt waren, und dabei mehr Spott als Wählerstimmen geerntet hatten, sprang David Steel aus der Rock tasche seines sozialdemokratischen Namensvetters - dahin hatte ihn die politische Muppetshow des englischen Fernsehens „Spitting Image“ versetzt - und forderte endlich die Fusion beider Parteien. Doch David Owen, der „Doktor“, war dagegen. Er befürchtete, daß seine SDP von der größeren Liberalen Partei verschluckt würde. Zur Fusion befragt, stimmten allerdings sechs von zehn SDP– Mitglieder für den Zusammenschluß und schickten ihren „Doktor“ mitsamt geschrumpftem Anhang in die Wüste der britischen Politik, die sich zwischen der fruchtbaren Ebene des Thatcherismus im Süden und den kargen Bergtälern des Labourismus im Norden des Landes aufgetan hat. Glaubt man dagegen den fusionswilligen SDPlern und Liberalen, dann gibt es in dieser Wüste auch eine Oase, wo die Nomaden zwischen den sozialen Klassen als Stimmvieh auf der Suche nach einer politischen Heimat zur Quelle kommen. Programmpunkte aus Thatchers Propaganda „Wir müssen dem Wähler einfach nur klarer machen, wofür wir ste hen“, so rezitiert auch Tony Greaves den wohl populärsten Spruch nach der Wahlschlappe der Allianz. Wofür die neue Partei stehen soll, das schien allerdings in Harrogate niemand so recht zu wissen. „Für die soziale Marktwirtschaft“, sagte einer, für die „Konsumenten–Gesellschaft“ ein anderer. Alles Begriffe der von der Regierung Thatcher erfolgreich eingeführten Propaganda, die nun von den Oppositionsparteien im Stile einer Papageienschar übernommen wird. „Wir müssen uns als die radikale Partei des Anti–Establishments profilieren“, sagt ein Jungliberaler und erntet vor der Versammlung gar noch Beifall statt Gelächter. Großbritannien muß das einzige europäische Land sein, wo sich eine Anti–Establishment Partei auf der verzweifelten Suche nach der politischen Mitte befindet. Das geht alles, weil der britische Liberalismus keine Ideologie, sondern eine Lebenshaltung ist. Ex–Hippies, Soft–Anarchos, Friedensbewegte, aber auch respektable Naturen, denen die Welt des Staatssozialismus (Labour) und des Ultrakonservatismus (Tories) zu hart ist, finden im Schoß der Liberalen ihre Heimat. Dieses liebenswerte Häuflein besteht also aus Überzeugungstätern, was die Verhandlungen mit den aalglatten „Professionals“ der SDP nicht gerade erleichtern wird. Vor allem in Verteidigungsfragen wird es bei der Festlegung der neuen Parteisatzung Schwierigkeiten geben, so vermutete Roger Crooks von den „Young Liberals“, der Sturm–und–Drang– Fraktion der Partei. Zu seinem Entsetzen hat Parteichef David Steel bereits angedeutet, daß die Forderung nach „einseitiger Abrüstung“ nicht zu den Prinzipien gehören wird, die er in der Satzung verankert sehen möchte. Doch selbst die überzeugtesten Unilateralisten werden nach der Fusion mit der SDP wohl mit der britischen Atomstreitmacht der Trident–U–Boote leben müssen. Denn eine Abwanderung zur Labour Party kommt selbst für sie nicht in Frage. Bei der entscheidenden Sitzung am Donnerstag stimmten die Delegierten dann mit überwältigender Mehrheit für den Zusammenschluß, für eine neue Partei also, die nach weiteren Verhandlungen und Abstimmungen der Mitglieder beider Parteien im Frühjahr vermutlich als „Liberale Demokratische Partei“ das Licht der Insel erblicken soll. Ist die Fusion nun ein neuer Versuch, nachdem das sozialdemokratische Experiment mit der Allianz gescheitert war? „Wir Briten denken nicht in so theoretischen Begriffen, wir sind Pragmatiker und versuchen einfach eine Alternative zu Thatcher anzubieten“, sagt Tony Greaves. Beim letzten Mal seien sie am Mehrheitswahlrecht und am traditionellen Klassenverhalten gescheitert. Aber wenn mit den Sozialdemokraten jetzt ein vernünftiger Kompromiß über die Satzung der neuen Partei gefunden werden könne, so ein euphorischer Fusionsbefürworter, „dann gehört uns die Zukunft“. Solchen Optimismus gabs schon einmal. „Our time has come“, so lautete der Titel eines von der Allianz in den frühen 80er Jahren herausgegebenen Buches, auf dessen Titelseite die beiden Davids noch fröhlich vereint lächeln. Das Buch wurde in Harrogate für 1,50 auf dem Büchertisch verramscht.

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