: Im Nordosten Sri Lankas spitzt sich die Lage zu
■ Indien beschuldigt die „Tamil Tigers“ des Mordes an 100 Tamilen / „Die Terroristen haben noch Waffen“ / Angst der Tamilen vor Bürgerwehr / Neuansiedlung von Singhalesen / Erschreckende offizielle Bilanz der Kriegsschäden
Aus Colombo Biggi Wolff
Indien hat erstmals den „Befreiungstigern von Tamil Eelam“ LTTE den Mord an über einhundert Tamilen zur Last gelegt. Ein Mitarbeiter des Außenministeriums forderte am Sonntag in New Delhi die LTTE zur vertragsmäßig vereinbarten Übergabe der verbliebenen Waffen auf. Mit den jüngsten Zusammenstößen hat sich die Atmosphäre in Sri Lankas Ostprovinz wieder dramatisch zugespitzt. Drei Tote und zahlreiche Verletzte gab es am Freitag bei Auseinandersetzungen zwischen Tamilen und Singhalesen in der Stadt Trincolmalee an der Ostküste Sri Lankas. Der Oberbefehlshaber der lankanischen Truppen in Trincomalee, Col. Seneviratne macht dafür die tamilische Guerilla verantwortlich: „Die Terroristen haben noch Waffen.“ Nicht–staatliche Hilfsorganisationen und Vertreter der Christlichen Kirche wiesen darauf hin, daß auch bewaffnete Einheiten der singhalesischen Bürgerwehr im Osten der Insel operieren. Die LTTE will mit einer gewaltfreien Kampagne ihren Forderungen Nachdruck verleihen: Sofortige Freilassung aller politischen Häftlinge, Beendigung der Besiedlung tamilischer Gebiete durch singhalesische Bauern, Auflösung von Polizei– und Armeecamps im Norden und Osten, Offenlegung der für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete vorgesehenen Gelder. Letztendlich wird es sich in Sri Lankas Osten, insbesondere in Trincomale entscheiden, ob es jemals zu dem im Friedensabkommen vorgesehenen „Heimatgebiet der Tamilen“ kommen wird. Ein Referendum soll 1988 über die Zusammenlegung der lankanischen Nord– und der Ostprovinz unter einem gemeinsamen Provinzrat entscheiden. Die jüngst erstellte offizielle Bilanz der Kriegsschäden im Distrikt Trincomalee lautet: In den letzten vier Jahren wurden 90 Prozent aller tamilischen Bewohner der Stadt zu Flüchtlingen. 18.600 Familien, das sind etwa 84.000 Personen müssen wiederangesiedelt werden. Vertreter von Bürgerkomitees und nichtstaatliche Hilfsorganisationen beklagen die wegen fehlender Baumaterialien, Transportproblemen, unpassierbarer Straßen und gesprengter Brücken nur schleppend vorangehenden Wiederaufbauarbeiten. „Während die tamilischen Flüchtlinge sich aus Angst vor Angriffen der singhalesischen Bürgerwehr nicht in ihre Dörfer zurücktrauen, nutzt die Regierung die Gelegenheit, um die Bevölkerungsstruktur durch die Neuansiedlung von Singhalesen zu verschieben“, kritisiert ein katholischer Priester, der ungenannt bleiben möchte, die Politik der Regierung in Colombo. M.Ariyaratne, Singhalese und höchster Regierungsbeamter im Rathaus von Trincomalee, bezeichnet solche Vorwürfe jedoch als „absolute Lüge, verbreitet von Terroristen, die jahrelang im Dschungel gelebt haben und nicht wissen, was wirklich los ist.“ Nicht ein einziger Tamile sei seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens am 29.Juli mit Beschwerden in sein Büro gekommen, „täglich aber erscheinen Singhalesen, die Schutz vor Terroristen suchen.“ Das singhalesische Flüchtlingslager Codbay ist bis auf zehn Familien geräumt worden. Dagegen warten weiterhin 5.000 tamilische Flüchtlinge im Lager Clappenburg, 15 km außerhalb der Stadt auf ihre Rückkehr nach Hause. „Dreimal sind wir schon von den singhalesischen Bürgerwehren vertrieben worden, diesmal gehen wir erst dann zurück, wenn die Sicherheit garantiert ist. Wir haben die indischen Friedenstruppen gebeten, uns zu begleiten und eine gewisse Zeit in unseren Dörfern zu bleiben, haben aber bisher keine Antwort erhalten“, sagt ein 75jähriger Tamile.
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