: Barschel über Bord - CDU kieloben
■ Barschel übernimmt die „politische Verantwortung“ und tritt ab / Keine Mehrheit für einen CDU–Nachfolger in Sicht / Neuwahlen sind kaum noch aufzuhalten / Meyer als Zünglein an der Waage / FDP will weiter mit CDU koalieren / SPD wirbt um die Liberalen
Aus Kiel Jörg Feldner
Uwe Barschel hat gestern seinen lange erwarteten Rücktritt erklärt und damit den Weg freigemacht für die Wahl eines anderen Ministerpräsidenten oder für Neuwahlen. Bis zum 2. Oktober, dem Ende der Wahlperiode, wird Barschel noch seine Amtsgeschäfte weiterführen und sie dann an seinen Stellvertreter, Bundesratsminister Henning Schwarz (CDU), abgeben. Der soll die Landesregierung dann „bis auf weiteres geschäftsführend leiten“. Schwarz hatte bereits vor Monaten angekündigt, seine politische Laufbahn beenden zu wollen: Niemand unter den politischen Beobachtern kann ihn sich als wirklich amtierenden Regierungschef vorstellen. Barschel behauptet, er habe alle Beschuldigungen Pfeiffers „nach bestem Wissen und Gewissen widerlegt“. Der in den Urlaub nach Portugal abgedüste Pfeiffer dürfe zwar keinen einzigen seiner Anwürfe wiederholen, weil er gegen die Flut eidesstattlicher Versicherungen aus der Landesregierung keinen Widerspruch eingelegt habe. Aber es bleibe die Tatsache, die „schweren Verfehlungen, vielleicht sogar Straftaten“ seien aus der Pressestelle der Landesregierung heraus begangen worden. Und dafür übernehme er nun die politische Verantwortung. Diese Begründung war die eigentliche Überraschung, denn bisher war Barschel stets so aufgetreten, als sei politische Verantwortung eine theoretische Größe, die keine praktischen Folgen haben könne. Nun lehnt Barschel es sogar ab, „die Verantwortung auf Mitarbeiter abzuwälzen“. Der „personelle Neubeginn“ müsse an der Spitze der Landesregierung beginnen, und zwar entweder durch „Wahl eines neuen Ministerpräsidenten oder durch Neuwahlen überhaupt“. Deutlich enttäuscht zeigte sich Barschel von den Freien Demokraten. Nach Zumpforts „Saustall“–Äußerung und nach der Weigerung der FDP, sich mit ihm gemeinsam fotografieren zu lassen, habe es keine Chance mehr für eine „Koalition des Vertrauens“ unter Barschels Führung gegeben. Barschel fühlte sich von Zumpfort „öffentlich vorverurteilt“. Die CDU will in der zweiten Oktoberhälfte einen neuen Kandidaten für den Ministerpräsidenten präsentieren. Als Favorit gilt der CDU–Fraktionsvorsitzende in Kiel, Klaus Kribben. Auf einer Pressekonferenz in Kiel verlautete am Nachmittag, Stoltenberg stehe als Ministerpräsident definitiv nicht zur Verfügung. Der Abgeordnete der dänischen Minderheit, Karl Otto Meyer, erklärte nach Barschels Abgang gegenüber der taz, „es bleibe dabei, daß er keinen CDU– Kandidaten wähle“. Wenn Meyer nicht umfällt - und er gilt in allen politischen Lagern als beispiellos standhafter Mensch -, dann sind Neuwahlen unausweichlich. Die nach vier Jahren Landtagsabstinenz ausgehungerte FDP– Fraktion fürchtet nichts so sehr wie Neuwahlen. So dicht vor dem Eintritt ins Kabinett will sie einfach nicht mehr umkehren. FDP– Chef Wolf Dieter Zumpfort wertete Barschels Rücktritt lapidar als „Zeichen politischer Glaubwürdigkeit“, aber an den Wahlaussagen der FDP ändere sich natürlich nichts. Für „überwindbar“ hielt er die „politischen Schwierigkeiten“. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Allerdings nicht für überwindbar aus eigener Kraft: „Wir erwarten von Karl Otto Meyer, daß er die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten ermöglicht“, lautet Zumpforts unverblümte Aufforderung an den deutsch–dänischen Einzelkämpfer. Barschels Vorwurf, die FDP habe ihn vorverurteilt, wies Zumpfort zurück. SPD–Kandidat Björn Engholm machte keinen Hehl aus seiner Vorliebe für eine sozialliberale Koalition. Die FDP müsse begreifen, daß mit der CDU kein Neuanfang möglich sei, und er frage sie, wie lange sie noch an ihrer „starren, den Neuanfang behindernden Position“ festhalten wolle. Er stehe nun als Ministerpräsident zur Verfügung, müsse aber die po litisch–rechtlichen Möglichkeiten erst noch abklären. Wahscheinlich gebe es nach dem Rücktritt eines Regierungschefs nicht mehr die Möglichkeit des konstruktiven Mißtrauensvotums. Engholm forderte, daß „alle“ noch im Dienst befindlichen Mitwirkenden der „unappetitlichen Vorgänge“ ihre Posten zur Verfügung stellen sollen. Stoltenberg solle die Verantwortung bei dieser Klärung übernehmen. Die Grünen hätten gern etwas mehr Zeit für Neuwahlen, sind aber bereits in die Debatte um eine neue Kandidatenliste eingetreten und räumen ein, daß sie nur wenig „profilierte Personen“ haben. Das haben Sprecher der Fundi– Fraktion gestern bekanntgegeben. In der Frage Koalition oder Tolerierung gewinnt eine neue Position Anhänger, die eine Koalition nicht als Prinzip, sondern als Frage ausgehandelter Inhalte se hen, meinte Landesvorstandsmitglied Jan Bartkowiak. Man werde künftig auch deutlich machen, daß eine Erklärung zur Zusammenarbeit für vier Jahre gelte. Der Wahlkampf soll nicht mehr allein gegen die CDU, sondern verstärkt auch gegen konservativ–liberale Positionen der SPD geführt werden. Die Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag, Waltraut Schoppe, bezeichnete den Barschel–Rücktritt als überfällig. Gleichzeitig forderte sie sofortige Neuwahlen, da die Auswechslung des Regierungschefs nicht ausreiche, um „den Sumpf politischer Intrigen trockenzulegen“. Schleswig–Holsteins CDU– Vorsitzender, Finanzminister Stoltenberg, wird vorzeitig die Tagung des IWF in Washington verlassen. Stoltenberg wird am Sonntag in Bonn erwartet. In einer ersten Stellungnahme sagte er, Barschels Rücktritt sei dessen „freie und persönliche Entscheidung“. Er erwarte, daß es bei der Wahl eines Ministerpräsidenten „einen Kandidaten der Opposition und einen der Koalition“ geben werde. Neuwahlen seien nicht erforderlich. Kanzler Kohl lehnte gestern eine Stellungnahme zu Barschels Abgang ab. Die Verantwortung bei den Vorgängen liege „bei den Freunden in Schleswig– Holstein“. Der Vorsitzende des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), Gerhard Wehlitz, sprach sich indirekt gegen die Position des einzigen SSW–Abgeordneten im Landtag, Meyer, aus, auf keinen Fall einen CDU–Ministerpräsidenten zu wählen. Wenn sich CDU und FDP einigten und die SSW–Forderungen erfüllten, könne durchaus eine CDU/FDP– Koalition unterstützt werden. Der Name des Ministerpräsidenten sei dabei zweitrangig.
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