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D O K U M E N T A T I O N Krieg den Palästen

■ Auszüge des Manuskriptes der Rede, mit der Erich Fried sich für die Vergabe des Büchner–Preises bedankte

„Büchner, der die Losung ausgegeben hatte: Friede den Hütten, Krieg den Palästen! war kein Apostel der Gewaltlosigkeit. 140 Jahre vor der Zuwendung eines Teiles der Studentenbewegung zur Gewalt hat er geschrieben: Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. ... Es ist wahrscheinlich, daß dieser 20jährige sich in unserer Zeit zur ersten Generation der Baader– Meinhof–Gruppe geschlagen hätte, heute im Gefängnis säße oder vor genau zehn Jahren, am 17. Oktober 1977, an einer ähnlichen Art Selbstmord gestorben wäre, wie es Baader, Ensslin und Raspe an diesem Tag widerfahren ist - und 17 Monate zuvor Ulrike Meinhof! - falls Büchner nicht schon bei der Verhaftung polizeilich erschossen worden wäre, natürlich nur in Notwehr oder in putativer Notwehr! ... Dem jungen Büchner war es nicht vergönnt, wenigstens noch das Revolutionsjahr 1848 zu erleben. ... Wenn ich daran denke, dann tut es mir weh, genauso weh, wie es mir tut, daß Menschen, die ich gekannt und geliebt habe, Ernst Bloch, Ernst Fischer, Heinar Kipphardt, Heinrich Böll, Peter Weiss, Herbert Markuse, Rudi Dutschke und viele andere, besonders auch Ulrike Meinhof, die dann sicher nicht mehr verzweifelt hätte, nicht mehr das deutliche Hervortreten Michail Gorbatschows und seine Tendenzwende erleben durften. Freilich haben sie auch nicht erlebt, daß, wie vorherzusehen war, Staatsmänner der westlichen Welt sich, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen, zum Beispiel Außenminister Genscher, verhalten wie viel zu dick aufgetragene Karikaturen, nicht aus Leonce und Lena, sondern aus einem schlechten stalinistischen Roman, der die bösen Kapitalisten zeigen will!... Unbeantwortbar, aber zugleich unwiderstehlich die Frage: Wie hätte Georg Büchner heute geschrieben? In diesem Land, das sich zur Freiheit bekennt, aber gewaltlose Demonstranten mißhandelt und einsperrt? Das immmer von Demokratie spricht, aber hinter den Kulissen einen Pinochet, einen Botha, einen Mobutu und die Contras Reagans unterstützt? .. Georg Büchner hätte sicher auch viele Verhaltensweisen - gar nicht nur in Deutschland - kritisiert, die heute gang und gäbe sind, zum Beispiel das ehrerbietige Stillschweigen vor jedem aufgeblasenen Popans, der eine Machtposition innehat und den man sonst nur bemitleidet oder verspottet hätte ... FORTSETZUNGEN VON SEITE 1

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