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„Zum Machtapparat gewordener Mensch“

■ Stoltenberg: Vor kurzem noch der populärste Politiker, droht der Kassenwart der Republik nun in den Strudel der Kieler Affäre zu sausen / Die innerparteiliche und öffentliche Fan–Gemeinde des drögen Machers murrt / Eine Strategie zur parlamentarischen Machterhaltung darf man nicht von Stoltenberg erwarten

Aus Kiel Petra Bornhöft

Im „Baltic–Salon“ eines Kieler Nobelhotels begann vor kaum drei Wochen das Debakel um den jahrzehntelang erfolgsgewohnten Dr. Gerhard Stoltenberg. Während der sechsstündigen Diskussion der CDU–Landesspitze drang das laut schnarrende Organ des Vorsitzenden sogar durch die massiven Edelholztüren. Er polterte gegen diejenigen, die es als erste gewagt hatten, den blitzartigen, politischen Knockout Barschels durch Parteifreunde zu kritisieren. Mit roten Flecken im Gesicht - von jeher Stoltenbergs einziges, aber untrügerisches Zeichen für innere Erregung - eilte der 59jährige zur anschließenden Pressekonferenz. Trotz eines drängenden Bonner Termins eröffnete der Finanzminister das offizielle Gespräch indes erst, als sein Redetext mit drei floskelhaften Absätzen auf dem Tisch lag: „Tief bewegte Diskussion, kritisch, selbstkritisch, verantwortlich, einvernehmlich“. Diese Worte fallen in den folgenden Wochen ebenso oft wie der Satz: „Wir müssen die Probleme Schritt für Schritt lösen.“ Einen höheren Grad an politisch–strategischer Substanz haben die Reden des Kassenwartes der Republik noch nie erreicht. Sollte die grummelnde CDU–Basis am Wochenende während des Landesparteitages ihren Vorsitzenden deutlich angreifen, dann wird er kurz und heftig zurückbeißen - Loyalität und Wiederwahl sind ihm gewiß. Erstmalig jedoch muß Stoltenberg damit rechnen, daß er bei den Vorstandswahlen keine DDR–Ergebnisse erzielen wird. Das trifft ihn, denn rasch und ohne Brüche verlief seine Karriere. Genauso wie später Barschel war der Pastorensohn aus dem deutsch–nationalen Elternhaus immer der Jüngste - als Landtagsabgeordneter (1954), MdB (1957) oder als Bundesforschungsminister (1965– 1969). „Er ist kein Apparatschik“, urteilte Ex–Studien– und Assistentenkollege Jochen Steffen über den langjährigen, politisch erfolgreichen Konkurrenten, „er ist der zum Machtapparat gewordene Mensch, der im herrschenden sozialen Bündnis genau die richtigen Interessen bedient; so daß es auch ihm dienlich ist und er zu weiteren Ämtern und Würden gelangt“. Karriere als „Korinthenkacker“ Vom Bauern zum Bonner Parlamentarier gekürt, setzte Stoltenberg sich in den Finanzausschuß. Dorthin, wo man mit gründlichem Fleiß, Zahlenwissen und Subventionsgeschenken ein Hinterbänklerdasein vermeiden kann. Als Krupp–Manager zog er sich in den Sechzigern das Wohlwollen von Großindustrie und Finanzkapital zu - und umgekehrt. In Parlamentsdebatten bestach Stoltenberg schnell mit scheinbar unangreifbarem, sachbezogenem Detailwissen. Herbert Wehner nannte ihn „Korinthenkacker“ und qualifizierte den politischen Debattenredner Stoltenberg irgendwann im Brüllstakkato: „Fuß–noten–pro–duzent“. In dieser Hinsicht blieb der frühere Historiker sich treu. Kumuliertes (Geld–)Wissen anstelle einer politischen Strategie, leises, aber entschiedenes Handeln kennzeichnen den Macher - der Forschungsminister redete nicht lange über die Atomenergie, sondern ließ das Kernforschungszentrum Karlsruhe aufbauen. Daß der spröde Norddeutsche menschlich wie ein Holzbock agiert, behinderte nie seinen Aufstieg. Reihenweise unveröffentlichte Peinlichkeiten können Chronisten aufzählen. Bei einer der letzten Sturmfluten zum Beispiel eilte Ministerpräsident Stoltenberg per Hubschrauber zu den geschädigten Bauern in der Haseldorfer Marsch an der Westküste. Ein Landwirt klagte, er habe 16 Kühe verloren. Daraufhin murmelte Stoltenberg seinen allseits bekannten Spruch: „Ach ja? Schön.“ Biedere Solidität Unnahbar sei er, heißt es. In den Unterlagen eines Kieler Archivs finden sich ausschmückende Beschreibungen: „Verklemmt gegenüber Frauen, kühl bis kalt, arrogant gegenüber Untergebenen, kleinlich bis pedantisch, kein unbeschwertes Lachen.“ Langjährige Beobachter bestätigen diese auf vergilbten Zetteln festgehaltenen Notizen über „Schnullermund“ und „Babyface“. Bei aller Liebe zum netten Spott, diese Beschreibungen für das vermeintlich jungenhaft wirkende Aussehen des Weißhaarigen wird der aktuellen Situation in keiner Weise gerecht. Durchdringend mißtrauische Blicke in fremde Gesichter und ein verkniffenes Grienen - mehr ist von ihm nicht wahrzunehmen. Aber das mag an den Ereignissen liegen, die verhaßte Unordnung in das Leben des Mannes brachten, der es wie kein anderer verstand, den Eindruck von biederer Solidität zu vermitteln. Darin liegt vermutlich das Geheimnis seiner bis vor kurzem ungebrochenen Popularität. Keinem Regierungsmitglied gelingt es so wie Stoltenberg, mit den Stimmen der „Kleinen“ die Geschäfte der „Großen“ zu betreiben. Symptomatisch die Bauern: Als sie 1984 in seinem Wahlkreis rumorten, versprach der Sparkommissar, der seit 1982 qua Amt den Leuten das Geld aus der Tasche zieht, den Landwirten flugs 20 Milliardden Mark Subventionen bis 1991. Bekanntlich verhindern solche Gelder nicht das Bauernsterben, sondern fließen den Agrariern zu, die ohnehin eine gesicherte Existenz haben. Doch sie sind es, die in den (holsteinischen) CDU–Gremien hocken und Stoltenbergs Hausmacht sichern. Dennoch kostete dieser überraschende Coup den Konservativen einige Sympathien im bürgerlichen Lager, war er doch nach der Bonner Wende angetreten, in der Wirtschafts– und Finanzpolitik „wieder Maß und Mitte zu finden“. Des Finanzministers Credo: „Zurückhaltung und Bescheidenheit bei Forderungen an den Staat und die Gesellschaft, dafür Erkennen der eigenen zumutbaren Verantwortung und Möglichkeiten, Ermutigung der privaten Leistungs–, Investitions– und Hilfsbereitschaft.“ Diese rhetorisch karge Gebetsmühle, gepaart mit fester Entschlossenheit, die Staatsverschuldung abzubauen, kam gut an in der breiten Mitte der (überschuldeten) Eigenheimbesitzer. Selbst SPD–Politiker mußten noch 1987 gequält zugeben, daß der „Helmut Schmidt ohne Schnauze“ aus dem Norden „den Bürgern das Gefühl gibt, wenn der regiert, kannst du gut schlafen“. Angeschlagener Kandidat Doch diese Zeiten sind offenbar vorbei. Verantwortlich für den vom Emnid–Institut im Oktober festgestellten Popularitätsverlust des Finanzministers sind die von 62 Prozent der Bevölkerung abgelehnte Steuerreform, die erneut wachsende Staatsverschuldung und natürlich seine politische Verantwortung in der Kieler Affäre. Eine politische „Altlast“, wie im letzten Spiegel hämisch vermutet, ist Stoltenberg deshalb noch lange nicht. Er selbst und fast mehr noch Nachfolger Barschel haben dafür gesorgt, daß die holsteinische CDU personell und politisch verdorrte. Der an Aufklärung interessierte Flügel, zuletzt repräsentiert durch den karrrierebewußten, vergleichsweise mutigen CDU–Obmann im Untersuchungsausschuß Graf Kerssenbrock hat das Handtuch geworfen. Ein Mann mehr, auf den sich nun die emotionalisierten Geier werfen werden. Ihn und andere zweitrangige Köpfe wird die Wut der Basis treffen. Trotz unverkennbarer „Führungsschwäche“ und mangelnder Strategie ist Stoltenberg der Parteivorsitz weiterhin sicher. Wahrscheinlich wird er gar als Ministerpräsident kandidieren müssen. Wie stets bei einem Bühnenwechsel zögert er, doch dem heimischen Parteisoldaten werden als einzigem Chancen zugebilligt, die Pfründe der schwer lädierten Gesamtpartei im nächsten Jahr zu retten.

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