: Im Zeichen der Selbstgerechtigkeit
■ Die CDU Schleswig–Holsteins hat sich auf ihrem Parteitag selbst gewürdigt / Von Petra Bornhöft
Auf dem Landesparteitag der CDU in Schleswig–Holstein hat es am Samstag viel Sturm im Wasserglas gegeben. Bundesfinanzminister Stoltenberg ist als Vorsitzender bestätigt worden, wenn auch mit dem schlechtesten Wahlergebnis seiner Amtszeit. Aufklärer Graf Kerssenbrock mußte sich sagen lassen, an den unflätigen Angriffen aus den eigenen Reihen sei er schließlich selbst schuld. An der Wahrheitsfindung in der Kieler Affäre soll weitergearbeitet werden - aber bitte doch solidarisch mit Barschel.
Das wilde, orange–schwarze Muster des Teppichbodens in der Eingangshalle des Maritim–Hotels in Timmendorfer Strand (Ostsee) entspricht den öffentlichen Erwartungen an den CDU–Landesparteitag: lebhafte Debatten in der durch die Pfeiffer–Barschel–Affäre heillos zerstrittenen Nord– Union. Stundenlange Sondersitzungen der Landtagsfraktion und des Landesvorstandes am Donnerstag und Freitag hatten alle möglichen Spekulationen in die Nachrichtensendungen geschleudert: der Parteitag werde auf zwei Tage verlängert, die Vorstandswahlen würden verschoben, die Basis werde den Aufstand gegen die Führungsriege proben. Nichts dergleichen geschah. Die Partei wird ihre Politik so fortsetzen wie bisher. Dafür steht Bundesfinanzminister Stoltenberg, der mit 85 Prozent Stimmen der 424 Delegierten sein schlechtestes Wahlergebnis in der 16jährigen Amtszeit als Landesvorsitzender erhielt. In seiner Eröffnungsrede streift Stoltenberg die vernichtende Wahlniederlage der Union vom 13. September, „trotz einer insgesamt sehr guten, erfolgreichen landespolitischen Bilanz Uwe Barschels“. Ein „schwerer Fehler“, der einzige, den der CDU– Chef benennt, sei der berüchtigte Artikel des Parteisprechers Günther Kohl gewesen, in dem der SPD vorgeworfen worden war, „Kindersex“ zu befürworten. Die „ersten Informationen über die verwerflichen Aktionen des früheren Angestellten der Landespressestelle, Pfeiffer, am 12. September haben uns überrascht und große Betroffenheit ausgelöst“. Folglich weist Stoltenberg entschieden die „Versuche der Sozialdemokraten zurück, die CDU Schleswig–Holsteins und auch mich persönlich durch haltlose Verdächtigungen für Pfeiffers Untergrundaktionen mitverantwortlich zu machen“. Da rühren sich fast alle Hände in dem überfüllten, dunstigen Saal zum Beifall. Auch den von sämtlichen Medien, mit Ausnahme der Springer–Presse und des CSU– Zentralorgans Bayernkurier erhobene Vorwurf, große Teile der Partei wollten die Wahrheit in Sachen Pfeiffer–Barschel nicht zur Kenntnis nehmen, kann der Vorsitzende nicht gelten lassen: „Die Wahrheit muß erst erkannt werden, bevor öffentliche Folgerungen gezogen werden.“ Damit hat der zum Rückzug aus dem Unter suchungsausschuß gezwungene Graf Kerssenbrock sein Fett weg. Stoltenberg beschwört die 40.000 Mitglieder der „starken und lebendigen Volkspartei“, sich wieder „auf die zentralen Zukunftsfragen unseres Gemeinwesens zu konzentrieren“ und „Geschlossenheit“ zu zeigen. Es dürfe „keinen Stillstand in der Landespolitik bis zum nächsten Sommer“ geben. Nach dieser Rede, in der die Worte von „selbstkritischer Nachdenklichkeit und politischem Gestaltungswillen“ nicht fehlen, kriegt sich der Tagungspräsident Rolf Olderog nicht mehr ein: „Ich danke Ihnen für diese große Rede. Sie sind ein Vorbild für Glaubwürdigkeit, Redlichkeit und Fairneß.“ Damit sind die Pflöcke gesetzt für den weiteren Verlauf des Parteitages. Der heftig umstrittene Fraktionschef Kribben bollert kurz und arrogant, zieht sich aber mit dem Verzicht auf eine Ministerpräsidentenkandidatur aus der Schußlinie. Während der Bonner Staatssekretär Peter Kurt Würzbach, Vorsitzender der nörd lichen Strukturreformkommission, die vielzitierte Erneuerung der Partei konkretisiert, verläßt ein breiter Strom den Saal, der Rest liest Zeitung, klönt oder trinkt Kaffee. So geht der entscheidende Reformvorschlag fast unter: „Der Geist des Schleswig– Holstein–Musikfestivals sollte in alle Politikbereiche übertragen werden.“ Dieser Auftakt des Parteitages bringt den ersten Debattenredner, Kuno Kroll, Vorsitzender des Ortsvereins Schwarzenbek und nach eigenen Worten „eine der grauen Mäuse“ in Harnisch: „Ich bin wohl auf der falschen Veranstaltung. Hier wird taktiert und laviert, als wenn die Welt in Ordnung sei.“ Er fordert „Namen, die nicht mehr auf der politischen Bühne erscheinen dürfen“. Gemeint ist besonders Nestbeschmutzer Graf Kerssenbrock, den man aus dem Kieler Untersuchungsausschuß herausmanövriert hat. Mit plötzlich auftretender, atemloser Stille verfolgen die Anwesenden das leidenschaftlich vorgetragene Statement des kleinen Adeligen, der einen „tiefen Riß“ in der Partei beklagt. Er hat die „Vorverurteilungen, Beleidigungen und Gehässigkeiten gegen meine Familie und mich in einer christlich demokratischen Partei nie für möglich gehalten“. Die schweigende Betroffenheit im Saal währt nicht lange, denn Kerssenbrock wird deutlicher: „Ich meine diejenigen, die die lückenlose Aufklärung im Munde führen, aber die schlimme Wahrheit nicht wahrhaben wollen.“ Das ist zu viel für die Parteifreunde: „Unglaublich“ ruft ein Dithmarscher. „Der hat einen Knall“, entfährt es der Dame im Lodenkostüm. Kerssenbrock läßt sich vom steigenden Geräuschpegel der Wut nicht beeindrucken: „Wir haben krampfhaft nach Entlastendem für Uwe Barschel gesucht, aber nur Belastendes gefunden“. Steinerne Mienen im Präsidium, die Zwischenrufe verklingen erst, als der Graf an die „historische Stunde für die Glaubwürdigkeit für Demokratie und Staat“ erinnert und fragt: „Wie sollen wir jungen Menschen erklären, daß das Heil nicht im Widerstand oder grüner Anti–Politik liegt, wenn wir nicht deutlich machen, daß Demokratie und Staat nicht so schlecht sind, wie sie sich darstelle?“ Das bringt denn doch die Lauterkeit der Gesinnung Kerssenbrocks für so manchen wieder ins Lot. Doch die Unionisten lassen sich nicht bieten, daß sie in puncto Wahrheitsliebe geteilter Meinung seien. Keiner der nachfolgenden 20 bis 30 Redner läßt es sich nehmen, darauf hinzuweisen, wie sehr sie an „lückenloser Aufklärung“ interessiert seien. Der erzkonservative Politologe Prof. Kaltefleiter tritt gegen den „blinden Eiferer“ nochmal nach, mahnt zur Geschlossenheit und stellt fest: „Von einer Krise der Partei kann keine Rede sein.“ Das ist das Signal, den Deckel wieder auf den Topf zu legen und die „Sache Kerssenbrock“ abzuschließen. Thomas Stritzl, Landesvorsitzender der Jungen Union, redet sich mit staatsmännisch zusammengekniffenen Augen in den Vorstand: „Wir müssen wieder gradlinig nach vorne schauen.“ Danach schleppt sich die Debatte in träger Nachmittagsmüdigkeit und endlosen Wiederholungen der Kandidaten für Vorstandsposten hin. Mit etwa 15 Gegenstimmen bedauert der Parteitag in einem Leitantrag, Uwe Barschel öffentlich zum Mandatsverzicht aufgefordert zu haben. Der „Grundsatz der Unschuldsvermutung und der Anspruch auf ein faires Verfahren ist in jedem Fall zu wahren“, heißt es in dem verabschiedeten Kompromißpapier. Unter der Überschrift „Blick in die Zukunft“ votiert der Landesparteitag für „vorurteilsfreie und lückenlose Aufklärung“, Neuwahlen, eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten für die kommenden Wahlen und für eine Koalition mit der FDP. Nach so viel gequältem Frieden brauchen die Delegierten ein Ventil. Sie schaffen es sich an der Frage, ob der Generalsekretär Rüdiger Reichardt, mindestens für die letzten drei Wahlniederlagen verantwortlich, gefeuert werden soll oder nicht. Ein entsprechender Antrag, eingebracht vom rechtsaußen agierenden Scharfmacher Werner Kalinka, Plöner CDU–Vorsitzender und Kieler Korrespondent der Welt, beschert ein zweistündiges Chaos, das jedes Durcheinander von Grünen–Parteitagen um Längen schlägt. Reichardt bleibt doch Generalsekretär. Damit ziehen die Delegierten einen Schlußstrich. Nicht ein einziger Politiker der Führungsriege verliert seinen Posten. Neben einigen anderen Neuen zieht auch Graf Kerssenbrock in den Vorstand ein. Ein Redner hatte die FAZ zitiert: Keine Partei dürfe es sich leisten, ein so großes Talent abzustoßen.
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