: Nordirland stehen heiße Wochen bevor
■ Bisher kein Bekenntnis zu Bombenanschlag auf einer protestantischen Gedenkfeier in Nordirland / Sprecher aller irischen und britischen Parteien verurteilten das Massaker / IRA–Täterschaft vermutet / Fünf katholische Jugendliche in Belfast angeschossen
Aus Dublin Ralf Sotscheck
Auch gestern hat sich keine Organisation zu dem Bombenanschlag im nordirischen Enniskillen bekannt, dem am Sonntag elf Menschen zum Opfer fielen. 61 Personen wurden zum Teil schwer verletzt, darunter 17 Kinder. Selbst in Nordirland, das in den letzten Jahren viele Anschläge erlebt hat, sticht dieses Attentat durch seine besondere Grausamkeit hervor. Traditionell wurde am Sonntag in Großbritannien und Nordirland der Toten aus den beiden Weltkriegen gedacht. Der Gedenktag ist ein sehr patriotisches Ereignis, an dem in Nordirland vor allem protestantische Familien teilnehmen. Die „Sicherheitskräfte“ hatten im ganzen Land Großeinsatz. Auch das Gelände um das Denkmal in Enniskillen wurde vorher nach Sprengstoff abgesucht, doch niemand dachte daran, in der 20 Meter entfernten Gemeindehalle nachzusehen. Es hatte wohl auch keiner ernsthaft damit gerechnet, daß Attentäter an diesem Tag zu schlagen würden. Eine Viertelstunde vor Beginn der Zeremonie explodierte die 30–Pfund–Bombe ohne Vorwarnung und zerstörte die Gemeindehalle. Die Menschen vor der Halle wurden von den Trümmern begraben. Andere wurden von der Wucht der Detonation durch die Fenster in die anliegenden Häuser geschleudert. Ein Amateurfilmer nahm die Szene unmittelbar nach dem Anschlag auf. Es herrschte Panik und Chaos. Menschen wühlten mit bloßen Händen in den Trümmern. Andere irrten umher auf der Suche nach Angehörigen und Freunden. Viele Schwerverletzte mußten mit Armeehubschraubern in das Krankenhaus nach Derry geflogen werden. Erst gegen abend waren die Aufräum– und Sucharbeiten beendet. Wäre die Bombe während der Gedenkfeier explodiert, hätte es ein noch größeres Blutbad gegeben. Sprecher aller irischen und britischen Parteien haben das Massaker scharf verurteilt. Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS nannte den Anschlag eine „barbarische Tat“, die offenbar von der IRA verübt worden sei. Dabei ist sie sich mit Nordirland–Minister Tom King einig, der davon überzeugt ist, daß die Tat auf das Konto der „Irisch–Republikanischen Armee“ gehe. Die Polizei behauptet, daß der Anschlag eine Rache für viele Rückschläge sei, die die IRA in diesem Jahr hinnehmen mußte. Die schwersten Verluste hatte die Organisation im Mai erlitten, als bei einem versuchten Bombenanschlag acht IRA–Mitglieder von der britischen Armee in einen Hinterhalt gelockt und erschossen worden waren. Auch ein Sprecher von Sinn Fein, dem politischen Flügel der IRA, kritisierte den Anschlag. Er sagte, er rechne nicht damit, daß Sinn Fein den Konsequenzen ausweichen könne, auch wenn die IRA nichts mit dem Attentat zu tun habe. Die gewalttätige Reaktion auf den Massenmord ließ nicht lange auf sich warten. In der Nacht zum Montag wurden fünf katholische Jugendliche in Belfast vermutlich von protestantischen Paramilitärs angeschossen. Das war wohl nur der Auftakt für eine Eskalation der „Auge um Auge“–Politik, die sich vor allem gegen „soft targets“ (leichte Opfer) richtet. Es werden allgemein heiße Wochen in Nordirland erwartet.
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