: Vollgemüllt und vollgekotzt wie jeden Morgen
■ Gespaltene Stimmung in der Hafenstraße: eilig aufgebaute Barrikaden schaffen Tatsachen / Offenes „Unterstützerplenum“ überrascht von dieser Wende / Umgesägte Laternenmasten, Sattelschlepper und Einkaufswagen auf der Straße
Aus Hamburg Petra Bornhöft
An der regennassen Treppe zur Bernhard–Nochtstraße werden die quaderförmigen Steine in einer Kette weitergereicht. Auf jeder Stufe liegt ein kleines Häufchen, herantransportiert in Einkaufswagen. An allen Ecken vor, hinter und zwischen den drei Häusern der St.Pauli–Hafenstraße machen sich Leute zu schaffen. In kleinen Grüppchen wird die „Lage“ diskutiert. Keiner hat genaue Informationen. Was werden „die“ machen, nachdem vor Stunden das Ultimatum des Senats abgelaufen ist und Dohnanyi die Vertragsverhandlungen für die Bewohner der Hafenstraße für gescheitert erklärt hat? Zu Hunderten strömen Fighter, UnterstützerInnen, Neugierige in das restlos überfüllte Zelt. Doch das 22 Uhr–Plenum wird um eine Stunde verschoben, weil die Bürgerschaft noch tagt. Verzweifelt, so scheint es, wird von mehreren Seiten versucht, die polizeiliche Räumung hinauszuzögern. Um die Häuser herum wird weitergebaut, wenn auch zögerlich. Angesichts des klatschenden Regens und einzelner Windböen verziehen sich viele Leute in die Kneipen von St.Pauli für eine kurze Pause. Ab 23 Uhr füllt sich das Zelt erneut. Binnen weniger Stunden haben sich die Gewichte in der Diskussion verschoben. Mehrheitlich lautete das Verteidigungskonzept: im Falle einer Verteidigung müssen so schnell wie möglich viele Menschen auch aus dem großen Kreis der „nichtmilitanten UnterstützerInnen“ in die Hafenstraße mobilisiert werden. Nur vereinzelte Leute sprachen sich dafür aus, den „Zeitpunkt selbst zu bestimmen“, frühzeitig Straßensperren zu errichten und einen Wassergraben um die Häuser zu buddeln. Diese Meinung findet am Mittwoch abend immer mehr AnhängerInnen. „Ich bin jetzt seit sechs Stunden hier und will endlich wissen, wann hier was läuft“, ruft ein junger Mann mit süddeutschem Dialekt in das Zelt. Laute Buhrufe antworten ihm, doch es sind nicht wenige, die nach dem Scheitern der Verhandlungen glauben, „eine wochenlange Verzögerungstaktik der Bullen“ werde die Mobilisierung empfindlich schwächen. Da kommt plötzlich der Bericht von dem gleichzeitig tagenden, nichtöffentlichen BewohnerInnen–Plenum: „Also wir haben diskutiert, jetzt die Barrikaden aufzubauen.“ Ein Sturm der Entrüstung bricht in dem von heftigen Windstößen geschüttelten Zelt los. „Damit machen wir uns alles kaputt, ein breites Bündnis war immer unsere Stärke.“ Die Spaltung ist offensichtlich. Jemand aus einer Nachbarschaftsinitiative warnt davor, Unterstützer auszuschließen. Lautstarker Beifall. Gegenrede: „Wir müssen in die Initiative kommen.“ Prompter Widerspruch: „militärisch gesehen ist das Schwachsinn. Da stehen einige Leute zehn Minuten, gehen dann für fünf bis zehn Jahre in den Knast und wir können denen dann die Apfelsinen schicken.“ Es sei ja nur ein Vorschlag, lenkt eine Frau ein, die davon berichtet, daß jetzt auch außer den BewohnerInnen andere Leute in die Häuser sollten. Dieses zweite Novum in der Debatte stößt auf Unverständnis, kann aber kaum diskutiert werden. In das Hin und Her der Diskussion dringt plötzlich von draußen lautes Rumpeln und Scheppern. Und dann knallt die Meldung in die Versammlung: „Einige Leute haben mit dem Barrikadenbau begonnen.“ Damit sind vollendete Tatsachen geschaffen. Eine weitere Debatte - es ist mittlerweile zwei Uhr morgens - erweist sich als unmöglich. Das Zelt leert sich. Draußen röhrt Punkmusik aus dem Sender „Radio Hafenstraße.“ Blitzartig hat sich die Szenerie verändert. In der parallel zur aufgepeitschten Elbe verlaufenden St.Pauli– Hafenstraße lösen Spitzhacken Steinplatten aus dem Bürgersteig. Sperrmüll, Bretter, Balken - alles fliegt auf die Barrikaden. „Autos satt für die Barris“, freut sich jemand, während ein Trecker alte Rostbeulen zum gewünschten Standort schleppt. Zwei Motorsägen kreischen durch die Nacht. Minutenlang sprühen die Funken, bis die Straßenlaternen fallen. Lange Holzlatten bringen Lampen zum Erlöschen. Ungerührt kurvt ein Jogger morgens um halb drei über den Bürgersteig, mit kurzen Sprüngen setzt er über die Barrikade: „Na und, ich laufe hier jeden Morgen“, sagt der Mann im hellblauen Trainingsanzug. Nur wenige Schaulustige versammeln sich. Oben in der Bernhard– Nochtstraße poltern Container in Barrikadenposition. Autoreifen brennen. Wo es eben geht, werden kleine Gräben aufgerissen. Unsichtbar bleibt die Polizei. 500 Meter vor den Häusern schauen zwei Beamte tatenlos zu, wie gerade eine Baustelle geräumt wird. Der Beamte fühlt sich verarscht. „Wir wissen überhaupt nicht, was passiert. Keine Hundertschaft in Reserve, nix. Im Schanzenviertel brennt es, die Feuerwehr weigert sich, einzugreifen.“ Ein gepanzerter Mercedes hält, der Beifahrer stellt sich den Polizisten als persönlicher Referent eines Senators vor. „Es brennt, überall Barrikaden“, er klärt der Beamte. Kommentarlos steigt der Frager wieder ins Auto. Wenige Stunden später, gestern morgen um acht, hat sich das Bild in der Hafenstraße nur insofern gewandelt, als die Barrikaden etwas höher und mit Stacheldraht versehen sind. Zwei Sattelschlepper stehen nun mittendrin. Schweres Ladegerät einer Reederei, dessen zweistöckiges Bürogebäude zerdeppert ist, ergänzt die Straßensperren. Der Tresor in dem Haus wurde geknackt - nach dem „Tanz um das goldene Kalb“ flogen Quittungen auf die Straße. Das Versammlungszelt ist zusammengebrochen. Nur wenige, übernächtigte Menschen. Farbe bringt allein die trotzig flatternde rote Fahne - neben der schwarzen - auf einem der Häuser. Weiträumig wird der Verkehr umgelenkt. Kaum Publikum, mit Ausnahme einzelner frierender Rentner, die kopfschüttelnd zusammenstehen: „Wat heb se bloß mit Hamborch mookd?“ Das Viertel um die Hafenstraße, in der Nähe der Reeperbahn, wo die Polizei um 5.30 eine Spontandemo aufgelöst hat, ist genauso vollgemüllt und vollgekotzt wie jeden Morgen.
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