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„Was jucken mich die Barrikaden?“

■ Die „Barrikadennacht“ stieß bei der Mehrheit in der Hafenstraße nicht auf positive Resonanz / Verbliebene Straßensperren kein Thema mehr / Fixierung auf Debatte über Verteidigungskonzepte durchbrochen

Aus Hamburg Petra Bornhöft

Stundenlang diskutierten in der Nacht zum Donnerstag Hunderte über die Barrikaden. Draußen in der Hamburger Hafenstraße schritt derweil eine Minderheit zur Tat. 24 Stunden später, in der vorletzten Nacht, drängten erneut 500 UnterstützerInnen in das Versammlungszelt zwischen den Häusern der St.Pauli–Hafenstraße. Ein Vorschlag, das Plenum auf die Bernhard–NochtStraße zu verlegen, scheitert: „Ich finde es zwar geil, wenn wir uns jetzt in die Arme fallen, aber wir müssen unbedingt nach den Ereignissen der letzten Nacht diskutieren, wie wir weitermachen“, sagt eine Frau unter großem Beifall. Mensch enthält sich langatmiger Kommentare über die Aktionen, die bei vielen zumindest Unbehagen hinterließen. Rasch ist klar: die noch stehenden Barrikaden in der Bernhard–Nocht–Straße bleiben, wo sie sind. „Was jucken mich die Barris, daran entscheidet sich momentan nix“ bringt jemand die Stimmung auf den Punkt. Perspektiven sind gefragt. Leonhard Heien, SPD–Fraktionsvize aus der Bürgerschaft, erhält Gelegenheit, die unterschiedlichen Linien der Sozialdemokraten zu erläutern: Innensenator Lange will räumen, Bürgermeister Dohnanyi setzt weiter auf gewaltfreie Lösungen, ohne sie indes genauer zu benennen. „Dohnanyi kann nicht weiter“, beschwört Heien. „Ihr müßt jetzt handeln“. Das empört einen älteren Mann, der bisher den Konflikt nur am Fernsehen verfolgt hat: „Herr Abgeordneter, das sind Hamburgs junge Leute. Wir müssen ihnen vertrauen, lassen Sie die Leute das Wohnmodell ausprobieren. Dann können Sie immer noch Ihre Gewaltarmee schicken.“ Schmunzeln und donnernder Beifall für einen selbsternannten Vater. Doch Heien kann auch keinen konkreten Lösungsweg anbieten. Ohnehin geht einigen das „Gesabbel von dem SPD–Heinz“ auf den Keks. Den Wunsch nach konstruktiven Vorschlägen greift jemand vom intern tagenden Bewohner–Plenum auf: Die nebeneinander herlaufenden Diskussionen und Aktionen müßten beendet werden. „Wir dürfen uns nicht länger blockieren mit endlosen Debatten über das Verhalten bei einer Räumung, von der keiner weiß, wann der Zeitpunkt kommen wird.“ Das timing der damit verbundenen Eskalation möglicherweise „selbst zu bestimmen“, in der Nacht vorher Hauptthema, das ist jetzt raus aus der Diskussion. „Wir können für den Fall der Räumung kein Konzept entwickeln. Das muß sich dann ergeben. Jeder ist für sich verantwortlich.“ Damit geben sich die meisten zunächst zufrieden. Auf Vorschlag des internen Plenums wird so etwas wie ein Beschluß herbeigeführt, umgehend mehrere Läden und Kneipen in Infozentren umzuwandeln. Lebensmittel sollen bereitgestellt werden. Ausdrücklich begrüßt wird der Vorschlag, keinen Alkohol in den Treffs zu vertreiben. Diskussionsveranstaltungen mit und ohne Prominente sind im Gespräch. Der „Initiativkreis zum Erhalt der Hafenstraße“, dem GAL, Jusos, DKP und andere angehören, schlägt eine Demonstration für Samstag vor. Der knappe Aufruf ist gebongt. Es ist ganz offensichtlich: „Wir müssen intern den erhaltenen Raum nutzen, um endlich mal wieder vernünftig über den nächsten Morgen hinauszudenken“. Diejenigen, die in dieser Nacht sich zum 95. Mal über eine gemeinsame Taktik im Falle der Räumung verständigen wollen, erhalten keine Antwort. Nur Vereinzelte drücken ihre Unzufriedenheit dadurch aus, daß sie draußen in der Bernhard–NochtStraße, weiter an den Barrikaden herumwerkeln.

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