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Zwei Angriffe auf iranisches AKW

■ Teheran: Folgen wie nach Tschernobyl möglich / Ein TÜV–Ingenieur unter den insgesamt zehn Opfern

Manama (dpa/upi/taz) - Die iranische Atomenergiebehörde hat die irakischen Luftangriffe auf die Baustelle des Kernkraftwerks Buschehr vom Dienstag mit der Katastrophe von Tschernobyl verglichen. In einem Schreiben an die Internationale Atomenergie–Organisation (IAEO) in Wien meinte der Präsident der iranischen Organisation, Resa Amrollahi, sie könnten „dieselben radiologischen Folgen haben wie das nukleare Unglück von Tschernobyl“. Die Angriffe seien eine „ernste Bedrohung für die Umwelt“. Amrollahi forderte die IAEO auf, Experten nach Iran zu senden, die den Schaden inspizieren sollten. Gegen den Irak sollte die IAEO wegen der Angriffe „angemessene Maßnahmen“ ergreifen. Irakische Flugzeuge hatten die Baustelle an der Küste des Persischen Golfs im Abstand von wenigen Stunden am Dienstag zweimal angegriffen. Dabei waren nach iranischen Angaben zehn Menschen getötet und sieben verletzt worden. Unter den Toten ist nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes in Bonn auch ein Mitarbeiter des technischen Überwachungsvereins (TÜV) in Essen. Der 49 Jahre alte Jürgen Friedrichs sollte zusammen mit anderen TÜV–Mitarbeitern die Kraftwerksteile für die iranische Atomenergiebehörde auf ihre Gebrauchstauglichkeit überprüfen. Die Arbeiten waren im Juni aufgenommen worden, nachdem - so der TÜV - „der Irak der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) die Zusicherung gegeben hatte, ... keine Kernkraftwerke anzugreifen, die der friedlichen Nutzung der Kernenergie dienen, insbesondere nicht die Baustelle des Kernkraftwerks Buschehr“. Die Iraner hatten im März bekanntgegeben, daß spaltbares Material in die Anlage gebracht worden sei. Mitarbeiter der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien erklärten jedoch, sie wüßten nicht, ob die iranische Behauptung zutreffe. Das Auswärtige Amt in Bonn teilte am Mittwoch mit, insgesamt hätten sich zwölf Deutsche in Buschehr aufgehalten. Die übrigen elf hätten sich am Dienstag abend in die Obhut der deutschen Botschaft in Teheran begeben und hätten auch bereits Kontakt mit dem TÜV Essen aufgenommen. Sie sollen am Freitag gemeinsam in die Bundesrepublik zurückflieFortsetzung auf Seite 2 gen. Die Botschaft kümmere sich auch um die Überführung der Leiche des TÜV–Ingenieurs in die Bundesrepublik. Die iranischen Behörden erwiesen sich als sehr hilfsbereit, hieß es. Nach Aussagen des Auswärtigen Amts hatte die iranische Kernenergie–Behörde im Jahr 1985 einen Beratungsvertrag mit dem TÜV Essen geschlossen. Aufgabe der Fachleute aus der Bundesrepublik sollte sein, die Bauruine von Buschehr so zu konservieren, daß ein späterer Weiterbau möglich bliebe. Die zwölf TÜV–Mitarbeiter seien vor ihrem Abflug nach Iran vom Auswärtigen Amt „eindringlich“ auf die Gefahr hingewiesen worden, da die Anlage in Buschehr schon zuvor mehrfach bombardiert worden sei. Erbauer des Atomkraftwerks mit zwei Reaktoren ist die Kraftwerksunion (KWU) in Mühlheim. Sie teilte am Dienstag mit, die Bauarbeiten in Buschehr seien seit 1979 eingestellt. KWU–Mitarbeiter seien nicht in Buschehr. Bevor die Bauarbeiten eingestellt wurden, war der eine Reaktor zu 80 Prozent fertig, der zweite zu etwa 60 Prozent. Auch die iranische Botschaft in Bonn machte den Irak in einer Erklärung „für jegliche Strahlenkatastrophe“ verantwortlich, zu der es kommen könne. Die Angriffe seien erfolgt, obwohl der Irak gewußt habe, daß in Buschehr radioaktives Material lagere. Ferner sei in Bagdad bekannt gewesen, daß sich ausländische Experten - auch Deutsche - dort aufhalten. Dennoch seien die Angriffe zu einem Zeitpunkt geflogen worden, da Bundesaußenminister Hans–Dietrich Genscher im Begriff stehe, den Irak zu besuchen. Genscher wurde am Mittwoch auf seiner Nahost–Reise in Bagdad erwartet. Die Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag, Bärbel Rust, und der grüne MdB Wolfgang Daniels, erklärten am Mittwoch in Bonn, entgegen den Angaben der Geschäftsführung der KWU seien in den letzten Jahren fortwährend weitere Bauteile für die iranischen Reaktoren von Siemens geliefert worden. Unter anderem seien vier Dampfgeneratoren montiert worden. Gegenüber der taz erinnerte Wolfgang Daniels daran, daß die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Juli dieses Jahres bestätigt habe, daß, nach Aussagen der IAEO, von den Iranern tatsächlich spaltbares Material auf die Baustelle in Buschehr gebracht worden sei. Die Grünen forderten einen sofortigen Stopp des Exports von Kernkraftwerken aus der Bundesrepublik.

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