: Militante Sprachlosigkeit im Hörsaal VI
■ Diskussion der Autonomen in Frankfurt nach den Startbahn–Morden / Flucht in Floskeln und Bekenntnisse / Sammelbüchsen für Andreas Eichler / Revolutionäre Gewalt sei politische Notwendigkeit und kein autonomer Fetisch
Aus Frankfurt Reinhard Mohr
„Wir wollen hier nicht diskutieren. Wir machen revolutionäre Politik!“ Ein Schwarzmaskierter las von seinem Handzettel ein paar schwer verständliche Sätze ab, die den Protest gegen die Diskussionsveranstaltung im Hörsaal VI der Frankfurter Universität begründen sollten, auf der am Donnerstag abend zum ersten Mal das gesamte Spektrum der „Autonomen“ und Linken über die Todesschüsse an der Startbahn debattieren wollte. Das Veranstaltungsplakat mit dem Titel „Linke und Gewalt“ hatte den Zorn vieler Autonomer erregt, weil auf dem Abbild einer schwarzen Maske in roten Lettern der Schriftzug „Born to kill“ prangte. So sehr diese „ironische“ Überspitzung des Feindbildes vom „Autonomen“ danebenging, so schlecht zielte das Dutzend Vermummter mit den zwei Dutzend Eiern, die in Richtung Podium flogen. Nach dieser eher konventionellen Eröffnung hielt Wolf Wetzel, der „Weizsäcker der Autonomen“, wie es in der Szene heißt, ein Grundsatzreferat über „Die Notwendigkeit militanter Politik und die Kritik der Waffen“. „Wir wissen nicht, ob und von wem geschossen wurde, aber wir wissen, daß die Schüsse keine Konsequenz unseres politischen Konzepts waren, sondern der Bruch eines Konsenses.“ Kollektive Verantwortung Obwohl auf einem großen Transparent hoch über dem Podium „Freiheit für Andy!“ gefordert und zwei Sammelbüchsen für seine Verteidigung im Saal herumgereicht wurden, ging der Sprecher „eines Teils der Autonomen Frankfurt“ mit keinem Wort auf Andreas Eichler ein, der seit sechs Jahren kaum einen der „Sonntagsspaziergänge“ an die Startbahn ausgelassen hatte und jetzt als dringend Tatverdächtiger in Untersuchungshaft sitzt. Dafür sprach Wetzel von kollektiver Verantwortung, Berechenbarkeit und einer schon seit Monaten laufenden Diskussion über Militanz: „Die Schlachten müssen Ausdruck alltäglicher Kämpfe gegen die Strukturen sein.“ Zuweilen hätten sich die Mittel verselbständigt und seien nicht mehr an den Zielen orientiert gewesen. Welche das sind, sagte der Chef–Autonome nicht. Dagegen referierte er ausführlich die Repressionsmaßnahmen des Staates, die die „Identifizierung der Aktivisten und Kleingruppen und die Offenlegung der Strukturen der Bewegung“ zum Ziel hätten. Die letzteren lagen allerdings im vollgestopften Hörsaal VI ziemlich of fen zutage. Die wohlgesetzten Worte autonomer „Nachdenklichkeit“ ließen die Unfähigkeit, über die Schüsse und ihre Konsequenzen offen zu reden, nur noch symptomatischer für den inneren Zustand „der Bewegung“ erscheinen. Die zweite Rednerin auf dem Podium, eine „Autonome aus Wiesbaden“, löste ihre Sprachlosigkeit, in dem sie die Schüsse zu einem notwendigen Zufall erklärte: „Die hätten früher oder später auch wo anders fallen können.“ Gleichwohl paßten sie „dem Staat ins Konzept“: „Die Bewegung soll gespalten werden.“ Daß sie - auch im Saal - schon längst in konkurrierende Gruppen und Grüppchen zerfallen ist, weiß zwar jeder, bloß sagen darf mans nicht. Denn: „Es geht doch um viel mehr als zwei Morde. Es geht um Mollis, Strommasten, Startbahn, Wackersdorf.“ Legalize Bankraub Harry Bauer von der universitären „Linken Liste“, die die politische Auseinandersetzung mit den Autonomen versucht, stieß bei seinem Versuch, sich als ideeller Gesamttheoretiker der „Autonomie“ zu präsentieren, auf harsche Kritik: „Mach erstmal dein Soziologiestudium fertig, Herr Professor!“, schallte es von den Rängen, als er seine Thesen von der Ausgrenzung des Sozialen und grüner Staatsapologie vortrug. Auch seine Forderung an die Grünen, das Delikt des Bankraubs zu legalisieren, um so „politische Gegengewalt überflüssig zu machen“, stellte die Verbindung zwischen „Studis“ und „Kämpfern“ nicht her. Denn schon die nächste Bemerkung, ein Zitat von Clau sewitz, erregte den Zorn derer, die lieber heute als morgen zur Tagesordnung übergehen würden: „Niemals kann das Mittel ohne den Zweck gedacht werden.“ Nachdem Robert vom „Libertären Zentrum“ noch einmal die „abgehobene Gewaltdebatte“ beklagt und betont hatte, „revolutionäre Gewalt“ sei eine „politische Notwendigkeit und kein autonomer Fetisch“, hob der erste Redner hervor, daß die Revolution ohnehin nur in der Bundesrepublik stattfinden könne, weil sie „nur hier finanzierbar“ sei. Nach ähnlich qualifizierten Äu ßerungen aus dem Saal faßte Wolf Wetzel noch einmal zusammen: „Es gibt bei uns eine Kontinuität von Selbstkritik. Wir wollen die öffentliche Auseinandersetzung.“ Daß genau die bislang nicht stattgefunden habe, kritisierte Michael Wilk, anarchistischer Sprecher des „Arbeitskreises Umwelt“ in Wiesbaden. „Ich war gerade in Wackersdorf, wo Leute die Bullen mit Sprüchen wie Sig Saur (die Marke der 9mm– Tatpistole) - die neue Power und Zwei Kollegen von euch liegen jetzt schon im Kühlhaus angemacht haben.“ Solche Äußerungen zeigten, daß das „politisch– moralische Niveau“ nicht besonders hoch sei. Die Diskussion bisher sei „oberflächlich“, die „Zielbestimmung unklar“, die „Sprachlosigkeit bedrückend“. Niemand ging darauf ein. Auch als die wenigen anwesenden Grünen wie Micha Brumlik und Roland Schaeffer nach dem Sinn und der politischen Strategie der Militanz, nach den politischen Prämissen der Autonomen fragten, ernteten sie nur Hohn und Aggressivität. Um elf Uhr waren die beiden Büchsen für Andreas Eichler gefüllt. Doch niemand hatte über ihn, den Autonomen von der Startbahn, ein wahres Wort gesagt.
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