: Britische Rüstungsgegner rüsten ab
■ Friedensbewegung feiert beim Kongreß Mittelstreckenabkommen als Sieg der eigenen Argumente Animierte Diskussion: Was tun, wenn bald die Objekte der Proteste fehlen? / Deutlicher Mitgliederschwund
Aus London Rolf Paasch
„Erfolg“ und „Realismus“, dies seien die beiden Schlagworte, die den diesjährigen Kongreß der britischen „Kampagne für nukleare Abrüstung“ (CND) kennzeichneten, so formulierte es Vorstandsmitglied Paul Jones nach dem zweitägigen Zusammentreffen der britischen Friedensbewegung am Wochenende in London. Erfolg, weil die Null–Lösung signalisiere, daß die Abrüstungsargumente der Friedensbewegung so langsam Gehör fänden; und Realismus, weil der CND sich bewußt sei, daß dieser erste Abrüstungsschritt nur der Beginn eines langen Weges zu friedlicheren Verhält nissen in Europa und der restlichen Welt sei. Es war ein recht optimistisches Wochenende, zu dem sich die knapp 1.000 Delegierten in diesen trüben Novembertagen im Londoner Arbeiterviertel Hackney zusammengefunden hatten; so als wolle die letzte noch von MÜslis dominierte Organisation Großbritanniens den von einer Yuppie– Invasion bedrohten Stadtteil schützen. „Cruisewatch“, die Beobachter der Marschflugkörper in und um Greenham Common, diskutierten beinahe begeistert, was denn zu tun bleibe, wenn ihnen demnächst die Objekte ihrer Proteste genommen würden. Nur von den parteipolitischen Gefilden der eigenen Insel gabs Deprimierendes zu berichten. Der dritte Wahlsieg Margaret Thatchers hat die Modernisierung der britischen Atom–U–Boot– Flotte mit einer Vervielfachung der Sprengköpfe mehr oder minder besiegelt. Erst wenn nach dem Gipfel in Washington von den Supermächten auch eine Halbierung der strategischen Arsenale verhandelt werde, so hofften einige CNDler, dann könnte die Trident– Flotte noch einmal zum Abrüstungsthema werden, weil die „unabhängige Abschreckungsmacht“ Großbritanniens dem Geist eines solchen Abkommens zuwiderlaufe. Von den Kampagnen gegen „Trident“ und „Star Wars“ abgesehen, da waren sich fast alle einig, müsse der Blick der britischen Friedensbewegung in Zukunft stärker auf Europa gerichtet werden, wo die „Eurobombe“ in nicht allzu ferner Zukunft ihrer Zündung harren werde. Anfang 1988 soll es zu dem Thema „Westeuropa - Die neue Supermacht?“ eine internationale Konferenz geben. Ob die Mitgliedschaft des CND für solche eher abstrakte Themenstellungen zu begeistern sein wird, ist fraglich. Schon im Verlauf des letzten Jahres hat das euphorische Abrüstungsgerede die CND–Mitgliedschaft um rund 20.000 - das sind ca. 10 Prozent - sinken lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen