: „Resignation ist kein Wort für mich“
■ Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin, erhielt anläßlich seines 75. Geburtstages die Ehrenbürgerrechte der Halbstadt / Als „Mahner“ wird er gewürdigt, doch Heinz Galinskis Bedeutung geht darüber hinaus
Von Klaus Hartung
Anläßlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde Berlins zu Heinz Galinskis 75. Geburtstag wird seine Rolle als „Mahner“ fast routiniert beschworen. Sicher ist die mahnende Stimme Galinskis wie kaum eine andere in der Bundesrepublik unüberhörbar; dennoch steckt in dem Wort „Mahner“ etwas Abwertendes, Geduldetes. Seiner Person wird es nicht gerecht. Er ist vielmehr im strengen Sinne eine öffentliche Persönlichkeit: im Gespräch läßt er kaum Einblicke in seine Person zu; aber, seine Auftritte schaffen Öffentlichkeit. Solange er lebt, wird es keinem Bundeskanzler gelingen, einen Schlußstrich unter die Nazi– Vergangenheit zu ziehen. Gerechter wird man Galinski, wenn man seinen Rang bestimmt. Dieser Rang ist auf besondere Weise sein Lebenswerk, keine persönliche Karriere, sondern eine politische Tatsache. Nach dem inoffiziellen Senatsprotokoll steht er höher als manche Senatoren. Er ist nicht nur der bei weitem bekannteste Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde, mit ihm haben die deutschen Juden eine unverkennbare Stimme. Vor allem aber sind seine Interventionen wirksam. Bezeichnend dafür war sein Auftritt im April 1986 vor der Anhörung der NS–Opfer zur Frage einer Entschädigung, obwohl die Gesetzgebung zur Wiedergutmachung abgeschlossen war. Es war überhaupt die erste parlamentarische Anhörung der Opfer in vierzig Jahren Nachkriegsgeschichte. Galinski erschien und gab bekannt, der Regierende Bürgermeister habe ihm unter vier Augen zugesagt, daß das Land Berlin Geld für eine Stiftung für NS–Opfer geben werde. Kennt man die bürokratischen und politischen Widerstände, dann vermag man die Bedeutung eines Vier–Augen– Gesprächs mit Galinski ermessen. Wahrscheinlich wäre ohne seine Intervention kaum der Prozeß in Gang gekommen, daß wenigstens auf Länderebene eine Entschädigung möglich geworden ist. Galinski stammt aus einer westpreußischen Kaufmannsfamilie. Schule und Heimatort verläßt er und flieht über Etappen nach Berlin, weil er hofft, in der Anonymität der Großstadt der Judenverfolgung zu entgehen. Die Bedrohung erkennt er und bereitet die Auswanderung vor. Vergebens. Die weiteren Stationen: Zwangsarbeit, Deportationen nach Auschwitz. Mutter und Ehefrau überleben das KZ nicht. Die Befreiung erlebt er in Bergen–Belsen. Er kehrt nach Berlin zurück, einzig, um überlebende Verwandte zu finden. In Deutschland wollte er nicht bleiben. Dennoch sagt er heute mit Stolz: „Ich bin ein Mann der ersten Stunde.“ Auf die Frage, woher er die Kraft nahm, in dem Land der Täter die jüdische Gemeinde und damit einen der wichtigsten Teile der Nachkriegsdemokratie aufzubauen, anwortet er: „Ich habe durch Zufall überlebt und wenn mein Leben einen Sinn haben sollte, mußte ich kämpfen.“ Es ist bekannt, wie bedrohlich die Frage der KZ–Opfer nach dem Grund ihres Überlebens ist. Hier liegen Motiv und düsterer Hintergrund seiner öffentlichen Persönlichkeit. Seit 1949 ist er ununterbrochen - auch das ein einmaliger Fall - Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, die einst die fünftgrößte Gemeinde der Welt (173.000 Mitglieder) war und jetzt 6.300 Angehörige umfaßt. Sie besitzt heute eine Kindertagesstätte, ein Jugendzentrum, eine Schule und - sein besonderer Stolz - eine Volkshochschule. Seit den siebziger Jahren ist sie finanziell gesichert. Galinskis Gemeindepolitik stand zwar unter dem Stichwort „Integration“ aber nicht „Assimilation“. „Ich bin gegen Assimilation, denn wohin sie geführt hat, haben wir erlebt.“ Zu der 68er Bewegung war Galinskis Verhältnis gespannt. Er sah die Demokratie, die schließlich das Überleben seiner Gemeinde sicherte, in Gefahr. Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus verschärfte dieses Verhältnis. Aber es hat merkliche Änderung gegeben. Er war bereit, Beziehungen zur Alternativen Liste aufzunehmen, bis hin zur Freundschaft mit der damaligen AL–Abgeordneten Cordula Schulz. Bei manchen seiner Auftritten spürt man, daß er die Linke als natürlichen Verbündeten ansieht. Überparteilich will er dennoch bleiben. Gleichwohl nimmt die Parteinahme zu. Sein Ton ist seit Bitburg härter und kritischer geworden, auch deswegen, weil der Druck des anonymen braunen Hasses nicht geringer geworden ist. „Resignation ist kein Wort für mich“, sagt er. Das heißt aber: Gründe für Resignation gibt es genug. In seiner Rede zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde erklärte er, der Wiederaufbau wäre leichter gewesen, „wenn man sich der Vergangenheit gestellt hätte, als sie noch keine Geschichte war.“
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