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Rheinhausen: Brav sein will keiner

■ Stahlarbeiter blockieren Rheinbrücke und Straßen „Wenns hier knallt, sind die Chaoten kleine Lichter“

Von Walter Jakobs

Duisburg/Düsseldorf (taz) - Die Stahlarbeiter von Krupp– Rheinhausen in Duisburg haben am Mittwoch eine Rheinbrücke blockiert und mehrere Kreuzungen und Straßen besetzt. Krupp hatte angekündigt, das Werk am Rhein mit seinen 5.300 Arbeitsplätzen zu schließen. Während Ministerpräsident Johannes Rau am Morgen noch zum Krupp–Gelände durchkam, um dort vor ein paar hundert Stahlarbeitern auf Einladung des Betriebsrates eine kurze Rede zu halten, saß Duisburgs Oberbürgermeister Krings mit seinem Wagen im Stau ebenso fest wie der taz–Korrespondent. Krings wußte allerdings sein Schicksaal mit Hilfe eines Kradfahrers der Polizei zu wenden. „Guten Tag, ich bin der Oberbürgermeister. Können Sie mich zur Krupp–Hütte bringen?“ Eine Rückfrage im Präsidium, und der Polizist durfte. Unbehelmt rollte das Stadtoberhaupt auf dem Sozius zum Werksgelände. Auf die Durchsetzung der Straßenverkehrsordnung bestand die Duisburger Polizei an diesem Tag auch an anderer Stelle nicht. Kein Polizeieinsatz, keine Räumung, den blockierenden Stahlarbeitern wurde gestattet, was in Mutlangen zu Serien von Festnahmen führte. Besonnenheit, nur keine Eskalation, so lautet die Devise der politischen und polizeilichen Führung. Die Angst vor einer „Explosion“ grassiert, denn im Kopf haben viele Stahlarbeiter sich von der Gewaltfreiheit längst verabschiedet. „Wenn die Hütte kaputt gemacht wird, dann machen wir das selber, aber mit einem solchen Knall, daß dagegen die Chaoten in Hamburg wie kleine Lichter erscheinen“. Das sagte am Dienstag abend ein alter „Kruppianer“, der dafür von knapp 1.000 Kollegen Riesenbeifall bekam. Noch gehen die Anstrengungen der Belgschaft in Richtung Erhalt, nicht Zerstörung der Hütte, doch wenn es bei dem Vorstandskonzept bleibt, scheint hier alles möglich. Johannes Rau sei am Mittwoch „kühl“ empfangen worden. Er habe eine „Sonntagsrede“ gehalten und „nichts konkretes“ geboten, hieß es bei der Stallwache im Betriebsrat. Fortsetzung auf Seite 2 Interview mit Krupp–Betriebsrat auf Seite 9 Raus Versicherung, er habe gegenüber den Vorstandsvorsitzenden von Krupp, Thyssen und Mannesmann erklärt, daß die Landesregierung in NRW es „nicht hinnimmt, daß der Stahlstandort Rheinhausen aufgegeben wird“, traut man bei den Stahlarbeitern nicht, weil Rau gleichzeitig einräumte, daß die Entscheidung über die Stahlstandorte bei denen liege, „die in Bonn das Sagen haben und bei denen, die demnächst in Brüssel zu Entscheidungen herausgefordert sind“. Solche Verweise mag bei den Stahlarbeitern dieser Tage niemand mehr hören. Sie wollen Garantien, keine Absichtserklärungen. Als die Stahlarbeiter, die am Mittwoch weiter streikten, via Fernsehen vom FDP–Landtagsantrag zur Situation der Stahlindustrie erfuhren, kam ihnen die „kalte Wut“, so ein Betriebsratsmitglied, hoch. Im FDP–Antrag werden die Pläne der drei Unternehmen „begrüßt“, denn, so der FDP–Sprecher Tschoeltsch, die Unternehmen „haben das vollzogen, was dieser Landtag im März beschlossen hat“. Damit spielte der Abgeordnete auf einen Antrag an, in dem die „Erarbeitung eines unternehmensübergreifenden Konzepts unter Moderation der Bundesregierung“ verlangt worden war, wobei auch „Zusammenschlüsse, Fusionen und Kooperationen“ der Stahlkonzerne nicht ausgeschlossen wurden. Das, was in Duisburg–Rheinhausen geschieht, sei durch diese Formulierungen, da sind sich CDU und SPD einig, in keinem Fall gedeckt. Die Debatte im Landtag geht am Donnerstag weiter. Am Mittwoch abend wollen die Stahlarbeiter vorübergehend die Produktion wieder aufnehmen. Dieser Mehrheitsbeschluß der Vertrauensleute und des Betriebsrates hat in der Belegschaft zu erheblicher Kritik geführt. Ohne konsequenten Streik, so die Befürchtung, sei ein Ende wie in Hattingen zu erwarten. „Wir brauchen einen langen Atem, dürfen unser ganzes Pulver nicht schon am Anfang verschießen“, lautet das Argument der Mehrheit. Einig sind sich alle in einem Punkt: Brav dem Untergang entgegen sehen will keiner. Von heißen Brammen auf Straßen und Brücken war am Dienstag abend ebenso die Rede wie von Randale „wie in Hamburg“.

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