piwik no script img

Katzenjammer bei Italiens Umweltschützern

■ Die im November gewonnenen Referenden offenbaren ihre Schwächen: Ihre Ergebnisse werden mühelos unterlaufen / Der neue Energieplan der Regierung trägt dem Votum gegen Atomkraftwerke nur sehr beschränkt Rechnung

Aus Rom Werner Raith

Der mächtige Weihnachtsstern über dem Industriegebiet von Massa soll „kein Zeichen des Triumphes sein“, wie Arbeiter und Betriebsleitung der Chemiefabrik „Farmoplant“ in seltener Einigkeit verkünden, „sondern Signal der Befriedung und des Friedens“. Zarte Worte für einen Vorgang, den Italiens Umweltschützer als Ungeheuerlichkeit empfinden: Kaum zwei Monate nach einer Volksbefragung in den beiden toskanischen Städten Massa und Carrara mit einer Absage von 75 Prozent der Stimmen an die Pestizid–Firma hat der zuständige Verwaltungsgerichtshof die Giftproduktion als „absolut sicher und ungefährlich“ eingestuft und die vom Bürgermeister verfügte Aufhebung der Firmenlizenz zurückgenommen. Gewerkschaft, Firmenspitze - die Anlage gehört dem Staatskonzern Montedison - und Betriebsrat haben sich daraufhin auf die „schnellstmögliche Wiederaufnahme der Arbeit geeinigt“, die 400 von der Firma gefeuerten Arbeiter sollen wiedereingestellt werden. Es ist nicht der einzige Fall, in dem sich Italiens Umweltschützer plötzlich gegen die Wand gedrückt fühlen. Auch die Regierung versucht derzeit mit allen Mitteln, den in den Volksentscheiden vom November ausgedrückten Willen der Italiener zu unter laufen. So sieht der nach dem ausdrücklichen Votum gegen die Kernenergie notwendig gewordene neue Energieplan der Regierung zwar die Abschaltung der Nuklearanlage von Latina vor (sie sollte wegen Altersschwäche sowieso nächtes Jahr stillgelegt werden), dazu werden zwei im Bau befindliche Reaktoren auf fünf Jahre eingemottet oder auf Gas umgerüstet - doch die Großanlagen von Caorso und Trini I sollen weiterbrodeln und lediglich „internationalen Höchstsicherheitsstandards angepaßt“ werden. Bei den Umweltschützern macht sich Katzenjammer breit - noch vor wenigen Wochen, nach den erfolgreichen Referenden, hatte man weitergehende Pläne zum Kampf auch gegen Kohlekraftwerke und viele gefährliche Industrieanlagen geschmiedet. Die neuen Manöver der Regierung und die Gerichtsentscheidung machen unversehens die Schwächen der italienischen Volksabstimmungen deutlich: In Massa und Carrara war, da lediglich lokale Interessen betroffen sind, sowieso nur ein „konsultatives“, also nicht bindendes Votum möglich; beim Ausstieg aus der Kernenergie ist die Abstimmung zwar bindend, doch das Referendumsgesetz läßt nur „abrogative“ Anträge zu, die bestehende Gesetze aufheben, doch nicht auf die Einführung neuer Gesetzestexte verhindern. So wurden mit dem Ergebnis vom 9.November zwar alle gesetzlichen Grundlagen für bestehende und geplante Anlagen eliminiert, doch das kann die Regierung nicht hindern, neue Gesetze einzubringen, die dem Volkswillen ganz offenbar widersprechen. Besondere Sorge bereitet den Umweltschützern dabei vor allem das offensichtliche Auseinanderbröckeln ihrer beim Referendum noch so festgefügt scheinenden Front: So haben z.B. die Sozialisten, Mit–Promotoren des Volksentscheids, die mit der Vertrauensfrage des christdemokratischen Ministerpräsidenten Goria verbundene Energiepolitik der Regierung gebilligt. Als Konsequenz wollen sich nun vor allem die Grünen wieder vermehrt auf ihr zweites Standbein stützen, die Massenbewegungen und Bürgerinitiativen vor Ort. Einen wichtigen neuen Verbündeten haben sie dabei bereits gefunden: Der Episkopat der einflußreichsten Region des italienischen Südens, Apulien, hat sich in einer energischen Stellungnahme „gegen die ständig fortschreitende Zerstörung der gesamten Zone durch sinnlose und gefährliche Konzentration menschengefährdender Betriebe“ ausgesprochen. Just in der Gegend, in der sich in den kommenden Wochen auch die neuen Initiativen der Ökologen wegen weiterer geplanter Groß–Energieanlagen konzentrieren werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen