piwik no script img

Die unglaubliche Verfolgungsjagd der Gardai

■ Die irische Polizei (Gardai) jagte den angeblichen IRA–Terroristen Paul Kane durch die ganze Republik / Dubliner Gericht stellt jetzt die Rechtmäßigkeit seiner Verhaftung fest / „Schlampereien“ in der Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte Irlands und Großbritanniens

Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Bedenken der britischen Premierministerin Thatcher gegen die Bereitwilligkeit der irischen Regierung, ihre Untertanen an Großbritannien auszuliefern, sind offensichtlich unbegründet. Am Montag wies der irische Richter Seamus Egan die Klage von Paul Anthony Kane wegen Rechtswidrigkeit seiner Verhaftung ab und ebnete damit den Weg für eine Auslieferung des angeblichen Mitglieds der Irisch–Republikanischen Armee (IRA) nach Nordirland. Gleichzeitig bedeutet das Urteil in diesem Präzedenzfall, daß sich die irische Polizei in Zukunft nicht mehr um lästige juristische Einschränkungen bei der Verfolgung Verdächtiger scheren muß. Was war geschehen? Kane war 1983 aufgrund der Aussage eines bezahlten Kronzeugen von einem nordirischen Gericht wegen Mitgliedschaft in der IRA verurteilt worden. Im selben Jahr nahm er an dem Massenausbruch aus dem Gefangenenlager Long Kesh bei Belfast teil. Drei Jahre später wurde er erneut verhaftet. Zwar war das Urteil inzwischen wegen der Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen aufgehoben worden, aber man konnte Kane immerhin noch den Gefängnisausbruch anlasten. Bis zur Verhandlung wurde er gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Kane tauchte in der Republik Irland unter. Vor vier Wochen wurde Kane dann während der landesweiten, erfolglosen Polizeifahndung nach IRA–Waffen auf einem Dachbo den nahe der nordirischen Grenze verhaftet. Da in der Republik Irland gegen ihn jedoch nichts vorlag, mußte er nach 48 Stunden wieder freigelassen werden - sehr zum Entsetzen der Polizei, die jeden Augenblick mit einem Auslieferungsersuchen aus Belfast rechnete. So beschloß man, Kane „zu beobachten“, was in der Praxis hieß, daß ihm ein größeres Polizeiaufgebot im Abstand von einem Meter folgte, während aus einem begleitenden Streifenwagen Suchscheinwerfer auf ihn gerichtet waren. Die Polizisten behaupteten vor Gericht allen Ernstes, daß sie gehofft hatten, Kane würde sie zu geheimen IRA–Waffenverstecken führen. Doch Kane tat nichts dergleichen, sondern begab sich zu dem Haus eines Bekannten, wo er Sinn–Fein–Präsident Gerry Adams traf. Als die Gruppe wenig später in zwei getrennten Autos wegfuhr, entwickelte sich eine Verfolgungsjagd, die aus dem Drehbuch eines amerikanischen Krimis hätten stammen können. Nach halsbrecherischen Fahrmanövern gelang es den Polizisten schließlich, die Wagen zum Halten zu zwingen - angeblich, um den Fahrern eine Verkehrsstrafe wegen Geschwindigkeitsübertretung aufzubrummen. Kane, der auf dem Rücksitz saß, hatte den Wagen mittlerweile verlassen und war durch eine Hecke in einen zwei Meter tiefen Graben gesprungen, dicht gefolgt von dem Polizisten Myles, der Kane nach wie vor „beobachtete“. Myles behauptete vor Gericht, daß Kane ihn im schlammigen Graben verhauen habe und gleichzeitig einem Kollegen, der inzwischen am Rand des Grabens aufgetaucht war, die Uhr vom Handgelenk gezogen habe. Grund genug, Kane wieder zu verhaften. Als der Verfolgte am nächsten Morgen dem Haftrichter vorgeführt wurde, ließ dieser ihn abermals gegen Kaution frei. Er kam jedoch nur bis zum Ausgang des Gerichts, denn inzwischen hatte sich die Polizei einen provisorischen Haftbefehl zu seiner Auslieferung besorgt, da das Auslieferungsersuchen aus Belfast noch immer nicht eingetroffen war. Die absurd–komische Verfolgungsjagd des angeblichen Terroristen fand am Montag nun vor einem Dubliner Sondergericht ihr Ende, wo Richter Egan über die Rechtmäßigkeit der Verhaftung Kanes befinden mußte. Im Kreuzverhör des bekanntesten irischen Anwalts Paddy McEntee erwiesen sich zahlreiche Aussagen der Polizisten als reine Erfindung oder Meineide. Die Aussagen der verzweifelten Verfolger Kanes waren dabei oft so bizarr, daß selbst Richter Egan mehrmals in Gelächter ausbrach. Da wußten die Beamten nicht einmal, wen sie beschatteten, wo die irischen Medien längst über die Verfolgung des angeblichen IRA–Terroristen berichtet hatten. Obwohl Egan in seiner Urteilsbegründung am Ende einräumen mußte, daß die Polizisten „nicht immer die Wahrheit gesagt haben“, folgte er in dem entscheidenden Punkt schließlich doch der Aussage des Polizisten Myles, der behauptet hatte, Kane habe ihn im Graben angegriffen. Daher sei die Verhaftung rechtmäßig gewesen. Ebenso sei die Überwachung Kanes zwar etwas indiskret, aber durchaus legal gewesen, da Kane sich ja frei habe bewegen können. Das Urteil deutet darauf hin, daß Irland fest entschlossen ist, die britische Premierministerin Thatcher in der Frage der „Terrorismus–Bekämpfung“ zufrieden zu stellen, selbst wenn das auf Kosten der irischen Bürgerrechte geht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen