Privatisierung in Österreich läuft auf vollen Touren

Die verstaatlichte Mineralölindustrie ging an die Börse / Trotz des „Schwarzen Montags“ haben die Alpenbürger kräftig Aktien gekauft / Neben der Aufbesserung der Staatsfinanzen ist die Europa-Integration der Industrie eine entscheidende Triebfeder für die Entstaatlichung / Privatisierung und Sanierung gehen Hand in Hand  ■ Von G. Regenermel & M. Schmid

Von G. Regenermel & M. Schmid

Wien (taz) – „Krystle würde. Christel wird.“ Was Krystle würde, war für die Werbestrategen der bis dato verstaatlichten Österreichischen Mineralölverwaltung (ÖMV) klar. ÖMV-Aktien würde Krystle kaufen. Natürlich. Denver an der Danube. Die ÖMV, schönste der vielen Töchter der verstaatlichten Industrieholding ÖIAG, ist an die Börse gegangen, denn die Mutter braucht dringend Geld für ihre Sorgenkinder, und Vater Staat kann und will nicht mehr so recht für den Finanzbedarf der chronisch maroden Grundstoffindustrien aufkommen. Ganz im momentanen Trend hat sich die ÖIAG entschlossen, zur Mittelaufbringung auf Privatisierung zu setzen. Was Maggie Thatcher kann, können wir schon lange.

Doch es wäre nicht Österreich, gäbe es hierzulande nicht eine eigene Variante. Denn das Sagen in ihren Betrieben wollen sich die staatlichen Industriekapitäne nicht nehmen lassen, daher wird nur bis maximal 49 Prozent privattisiert. Und auch ein großer starker Partner war bei der ÖMV nicht unbedingt willkommen. Dr. Csaba Szekely von der Konzernmutter ÖIAG erklärt das folgendermaßen: „Dort, wo uns Know- how, Kapital und Märkte fehlen, dort werden wir uns nach einem starken Partner umsehen. Aber da, wo wir selber können, da machen wir das alleine.

Die ÖMV kann selber, sie macht alleine. Die ÖMV versorgt den österreichischen Markt zu 74 Prozent mit Mineralölprodukten; bei Erdgas liegt der Anteil noch höher, nämlich bei 83 Prozent. Sie betreibt über 1.300 Tankstellen in der Alpenrepublik, die einzige Raffinerie in Schwechat und bohrt selbst in Österreich (und Libyen) nach Öl. Im ersten Halbjahr 1987 erwirtschaftete sie einen stolzes Betriebsergebnis von 536 Millionen Schilling und hat am Jahresende eine Dividende von 300 Millionen ausgeschüttet.

Die Österreicher stehen dem Geschehen auf dem Aktienmarkt so aufgeschlossen gegenüber wie die Portugiesen dem Skilauf. Nur rund ein Prozent der Alpenbürger besitzt Aktien. Eine gut 40 Millionen Schilling teure Werbekampagne versuchte den Carrington im Herrn Karl zu wecken. Und augenscheinlich mit Erfolg. Die erste Tranche von 15 Prozent der Stammaktien zu einem Ausgabekurs von 4.400 Schilling wurde stark überzeichnet. Allerdings war nach dem „Schwarzen Montag“ am 19. Oktober letzten Jahres die urprüngliche Anzahl von 25 Prozent der Aktien zu einem Ausgabekurs von 4.900 Schilling leicht nach unten korrigiert worden. Dennoch, der Erlös aus der Aktienemission liegt bei rund 1,3 Milliarden Schilling für die ÖIAG.

Dazu kommen für das Staatssäckel etwa 1,4 Milliarden für den Verkauf eines Gutteils der bisher in staatlichem Besitz befindlichen Siemensaktien an Siemens International. Die ÖIAG, die über 40 Prozent der Siemens Österreich Aktien besessen hatte, verfügt nunmehr nur noch über die Sperrminorität. Zusammen mit den Erlösen aus dem Verkauf einiger Kleinkraftwerke und kleinerer Unternehmen hat die ÖIAG heuer rund drei Milliarden Schilling auf diese Art aufgetrieben, die für die Umstrukturierungen und Sanierung im restlichen Konzernbereich bitter nötig sind. Allein die Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke (VÖEST) werden ihrer Mutter 1987 noch einmal einen gewaltigen Verlust von etwa acht Milliarden Schilling bescheren.

Mittel zur Sanierung sind neben Personalabbau und Stillegung einzelner Standorte die Aufgliederung und Zerschlagung der Großunternehmen in kleinere überschaubare Einheiten und die „stille“ Privatisierung. Stille Privatisierung meint den Verkauf oder Teilverkauf von ausgegliederten kleineren Unternehmen wie beispielsweise des Präzisionsstahlrohrwerkes Krieglach in der Steiermark, das zu 51 Prozent an die deutsche Rotec verkauft wurde. Auch ihren Werkzeugmaschinenbau hat die VÖEST unterdessen ausgegliedert und in eine gemeinsam mit dem italienischen Werkzeugbauer Salvagnini gegründete Gesellschaft eingebracht, an der sie nun noch 49 Prozent hält. Die Chemie Linz wurde bereits gegen den Widerstand der Belegschaft in drei Unternehmen aufgeteilt: die Agrochemie Linz, die sich mit der Herstellung von Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln beschäftigt, die Chemie Linz und CL- Pharma, die zu 55 Prozent der Chemie Linz und zu 45 Prozent dem staatlichen Tabakmonopolisten Austria Tabak gehört. Am petrochemischen Geschehen ist die Chemie Linz auch nur mehr am Rande beteiligt, in Form eines 33prozentigen Anteils an der Petrochemie Danubia. Das Sagen dort haben die smarten MustermanagerInnen von der ÖMV.

Auffällig bei den Umstrukturierungsmaßnahmen in der verstaatlichen Industrie ist die zunehmend stärkere Ausrichtung auf die Europäische Gemeinschaft. Partnerunternehmen kommen fast ausschließlich aus EG-Ländern, verkauft wird in die EG. Der Boden für einen alsbaldigen Eintritt in den gemeinsamen Markt wird bereitet. Den Anfang machte dabei die ehemals zum Konzernbereich der verstaatlichten Creditanstalt Bankverein gehörige Semperit AG, die nach erfolgreicher Sanierung an den deutschen Gummiriesen Conti verhökert wurde.

Auch die ÖMV-Privatisierung ist nicht ausschließlich auf Österreich beschränkt. ÖMV-Aktien wurden auch an den Börsen in Frankfurt, Zürich und London plaziert. Ziel ist es wohl, einen international wettbewerbsfähigen verstaatlichten Sektor zu schaffen, in dem zwar letztlich die ÖIAG das Sagen hat, an dem sich aber durchaus auch Private beteiligen können. Die Ausrichtung der ÖIAG, die immerhin 20 Prozent der österreichischen Industrie repräsentiert, auf den gemeinsamen europäischen Markt ist ziemlich eindeutig. Und wenn es dann so weit ist, will man auch gerüstet sein.

Doch bis dahin ist es noch weit, und auf der Strecke bleiben auf dem Weg nach Europa unter Umständen alte traditionelle Industrieregionen wie die steirische Mürzfurche mit ihren Standorten Kapfenberg, Mürzzuschlag, Donawitz, deren erfolgreiche Sanierung von der ÖIAG selbst als nicht gesichert bezeichnet wird. Aber auch das ist europäisch; Liverpool oder Birmingham gehören ebenfalls zur EG. Zwar gehen die Uhren in Österreich ein bißerl anders, aber deshalb ist noch lange nicht sicher, daß der steirischen Industrieregion ein englisches Schicksal erspart bleibt.