: Keine Mitte in Großbritannien
■ Der Vereinigungsversuch der britischen Sozialdemokraten und Liberalen entwickelt sich zur politischen Farce / Formale Übereinkunft erzielt - Glaubwürdigkeit verloren
Aus London Rolf Paasch
Selten stand die Gründung einer politischen Partei unter so ungünstigen Sternen, wie der Versuch der britischen Liberalen und Sozialdemokraten, ihre Wahlallianz aus den letzten Jahren in eine vereinigte Partei zu verwandeln. Nach dem Scheitern der Verabschiedung eines gemeinsamen Programmentwurfs am letztenMittwoch haben die Führungen beider Parteien zu Wochenbeginn einen neuen Anlauf unternommen, mit dem Zusammenschluß die „dritte Kraft“ Großbritanniens zusammenzuflicken. Die 16 Abgeordneten beider Parteien werden voraussichtlich ein neues am Wochenende erarbeitetes Richtlinienpapier als letzten Rettungsanker vor dem Versinken in der politischen Lächerlichkeit ergreifen. Ob allerdings auch die verärgerte Basis auf dem liberalen Sonderparteitag am kommenden Samstag dazu bereit sein wird, der Vereinigung um jeden Preis zuzustimmen, ist noch fraglich. Mit dem über die Köpfe der Parteimitglieder zusammengeschusterten Richtlinienentwurf hatten der Führer der Sozialdemokraten, Maclennan, und Liberalen–Chef Steel sämtliche Fraktionen auf die Palme gebracht. Teile ihrer Programm–Satire mit dem Titel „Stimmen und Chancen für Alle“ hätten von einem Drehbuchschreiber Thatchers stammen können. Andere Punkte, wie die Beibehaltung einer Atomstreitmacht, waren mit Rücksicht auf die abtrünnigen Ur–Sozialdemokraten unter dem Ex–SDP–Chef Owen aufgenommen worden. Die Befürwortung des Ausbaus der Atomenergie hatte auch noch die kompromißfreudigsten Liberalen verprellt. Der jetzt überarbeitete Entwurf folgt dagegen wieder sozialliberale Tradition: Er sagt zu den strittigen Politikfeldern gar nichts eindeutiges mehr und überläßt alles zukünftigen Parteitagen. Sollte dieses Pamphlet der Nichtigkeit am Samstag bei den Liberalen eine 2/3 Mehrheit finden und anschließend auch von den Sozialdemokraten akzeptiert werden, dann gäbe es sie endlich: die „Sozialdemokratische und Liberale Partei Großbritanniens“. Ohne daß jemand allerdings wüßte, wofür sie nun stünde; und mit zwei Politikern an ihrer Spitze, die, so ein Kommentator, „nicht einmal in der Lage wären, eine Imbißstube zu betreiben“. Mit einer Labour Party, damit beschäftigt, einen linken Thatcherismus zu entwickeln, und dieser „Mitte“, wird die wirkungsvollste Opposition zur Regierung Thatcher auch weiterhin aus einer Ecke kommen, aus der man Widerstand am wenigsten vermutet: von den Lords aus dem Oberhaus.
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