: Helmut blieb nicht zum Lunch
■ Kaum Fortschritte in Sachen Agrarreform beim Treffen Kohl–Thatcher in London
Aus London Rolf Paasch
Was für ein Unterschied! Er nennt sie liebevoll Margaret, ihr will das teutonische Helmut partout nicht über die nachgeröteten Lippen. „Cool on Kohl“, nannte es der Observer. Sie weiß auch über die kleinsten Details der Produktionsobergrenzen beim Getreide Bescheid, er - vom Speziellen gelangweilt - blubbert dagegen etwas über die unterschiedliche Situation in den verschiedenen europäischen Ländern, über die Größe der Bauernhöfe zwischen Norwich und Passau. Sie hat den „Mann des Jahres“ bereits dreimal getroffen, er dagegen wartet immer noch auf die erste Audienz bei Micha einen Außenminister mit dem Rückgrat eines begossenen Pudels, er hingegen muß sich dagegen seine Außenpolitik von einem Mann diktieren lassen, der ihn an Statur bei weitem überragt. Und dabei stammen beide aus der tiefsten Provinz. Oggersheim grüßt Grantham. Nur daß sie sich mit der unerschöpflichen Energie eines Emporkömmlings durch Klassengesellschaft, Partei und Establishment nach oben gearbeitet hat, während er sich schlicht bis an die Spitze durchsaß, so wie es jeder dahergelaufene Sozialdemokrat könnte. Nur einmal hat er ihr gezeigt, was eine Harke ist, damals, vor drei Jahren in seinem österreichischen Urlaubsdomizil, als sie ihn aufsuchte, er sie nach einer Stunde wegen eines dringenden Termins vor die Tür setzte, sie einen erzwungenen Einkaufsbummel unternahm und Helmut im Cafehaus bei einer regen Diskussion mit einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte entdeckte. Seitdem hat er Angst vor ihrer Rache und nennt sie - wie am Dienstag auf der Pressekonferenz nach ihrem 2 1/2–stündigen Vorgespräch zum kommenden EG–Gipfel - beschwichtigend Margaret. Die Atmosphäre der Gespräche, so Kanzler Kohl, sei „charmant“ gewesen. Sie dagegen beschrieb der Presse dagegen kurz und knapp die ungelösten Fragen. Gewisse Fortschritte ja, konstruktiv, auch das, aber das mit der „charmanten Atmosphäre“ sei nun doch etwas übertrieben. Am Ende stimmt sie dann doch noch überein: daß ein Scheitern des EG–Gipfels am kommenden Dienstag in Brüssel an der Frage der Agrarreform ihr gemeinsames Ziel der Öffnung des europäischen Binnenmarktes 1992 gefährden würde. Danach hätte Helmut nun wirklich zum Lunch bleiben können. Aber wahrscheinlich hatte er Angst, daß die liebe Margaret ihn noch vor dem Nachtisch sitzen lassen würde.
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