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Das anglo-irische Abkommen ist so gut wie tot

Nach den umstrittenen Entscheidungen der britischen Justiz sind die Beziehungen zwischen Großbritannien und Irland auf einem Tiefpunkt angelangt / Großer Verlierer sind die nordirischen Sozialdemokraten  ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck

„Dieser verdammte Staat lebt von seinem Apartheid-System. Wir Katholiken sind hier in Nordirland Bürger zweiter Klasse, ohne Rechte und ohne Aussicht auf Änderung.“ Joe lebt in West-Belfast, einer der ärmsten Regionen in der Europäischen Gemeinschaft. Er gehört zu den 20 Prozent in seinem Viertel, die einen Job haben. Joe arbeitet in der „Conway Mill“, einem Selbsthilfe-Projekt der Arbeitslosen. Doch sein Arbeitsplatz ist in Gefahr. Die britische Regierung hat der „Conway Mill“ die Mittel gestrichen, weil sie angeblich Verbindungen zu Terroristen hat. Genauso erging es allen anderen Projekten im katholischen West-Belfast. Unterdessen fließen die Gelder, die zur Hälfte aus Mitteln der Europäischen Gemeinschaft stammen, in den protestanischen Ostteil der Stadt.

Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Ellen Olms ist auf Einladung der „Conway Mill“ nach Belfast gereist. Von ihr erhoffen sich Joe und seine KollegInnen aus der „Conway Mill“, daß sie die diskriminierende Vergabe der EG-Gelder bekanntmacht. Die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation durch das anglo- irische Abkommen haben sie längst aufgegeben. „Was ist von einer Regierung zu erwarten, die der Polizei eine Lizenz zum Töten Unbewaffneter ausstellt?“, fragt Joe. „Ich habe immer versucht, meine Kinder zu Pazifisten zu erziehen, aber langsam gehen mir die Argumente aus.“

In der letzten Woche hatte der britische Generalstaatsanwalt Mayhew bekanntgegeben, daß endgültig keine Anklage gegen die Polizisten erhoben wird, die 1982 an der Erschießung von sechs unbewaffneten Katholiken in Nordirland beteiligt waren. Zwar räumte Mayhew ein, daß durchaus Beweise gegen die Beamten vorliegen würden, aber im Interesse der nationalen Sicherheit sei von einer Strafverfolgung abzusehen.

Drei Tage später schlug die legendäre britische Gerechtigkeit ein zweites Mal zu: Am letzten Donnerstag verwarf ein britisches Gericht den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die „Birmingham Six“. Diese sechs irische Emigranten sind 1975 zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden, weil sie angeblich zwei Kneipen in Birmingham in die Luft gesprengt hatten. Bei dem Anschlag starben 21 Menschen. Trotz erdrückender Beweise für die Unschuld der Männer lehnten die Richter im „Old Bailey“ eine Wiederaufnahme ab. Selten ist der Begriff „zweierlei Maß“ deut licher illustriert worden. Die beiden juristischen Entscheidungen der vergangenen Woche haben in Irland Wut und Verbitterung ausgelöst. Der irische Justizminister Collins bezeichnete den britischen Generalstaatsanwalt als unfähig. Die Hinterbänkler der Regierungspartei Fianna Fail forderten Regierungschef Haughey auf, sofort die Auslieferung politischer Gefangener an Großbritannien sowie die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich einzustellen. Und den Briten steht weitere Unbill ins Haus. Am Wochenende wird John Stalkers Buch veröffentlicht, in dem er die Verwick lung des britischen Geheimdienstes MI-5 in die Polizei-Morde nachweist. Der Ex-Polizist Stalker hatte die Untersuchungen dieser Fälle geleitet und war vom Dienst suspendiert worden, als er der Wahrheit zu nahe kam.

Inzwischen schwenkt die britische Regierung den Olivenzweig. Nordirland-Minister King stellte ein Disziplinarverfahren gegen die in den Fall verwickelten nordirischen Beamten in Aussicht. Und auch eine Begnadigung der „Birmingham Six“ scheint nicht mehr völlig ausgeschlossen. Doch der Schaden ist kaum noch zu reparieren, die anglo-irischen Beziehungen sind an einem Tiefpunkt angelangt. Das Abkommen ist kaum noch das Papier wert, auf dem es geschrieben steht. In dem Abkommen war davon die Rede, daß die Job-Diskriminierungen beendet und die Akzeptanz der „Sicherheitskräfte“ bei der katholischen Minderheit Nordirlands verbessert werden sollten. Das Gegenteil ist erreicht worden. Die großen Verlierer sind die nordirischen Sozialdemokraten (SDLP). Mit dem anglo-irischen Abkommen sollte ihre Position auf Kosten Sinn Feins, des politischen Flügels der IRA, gestärkt werden.

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