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Krankenschwestern surfen auf der Streikwelle

Der 24stündige Streik des britischen Krankenhauspersonals findet in der Öffentlichkeit großes Verständnis Protestaktionen in zahlreichen Industriezweigen erinnern an den „Winter der Unzufriedenheit“ vor zehn Jahren  ■ Aus London Rolf Paasch

Tausende von Krankenschwestern verließen in Großbritannien am Mittwoch ihre Patienten und protestierten vor den Toren der Hospitäler gegen ihre schlechte Bezahlung und die oft skandalösen Arbeitsbedingungen im staatlichen Gesundheitswesen. Nachdem Frau Thatcher das Krankenhauspersonal am Vortag beschuldigt hatte, mit seinem Streik nur die Patienten zu treffen und die Wartelisten zu verlängern, betonten die Streikposten am Mittwoch, daß sie eine Notbesetzung der Krankenstationen organisiert hätten und notfalls auch zu ihrer Ar beitsstelle zurückkehren würden. Drinnen sorgten unterdessen die im „Royal College of Nurses“ organisierten Schwestern und Pfleger, denen ihre Satzung einen Streik verbietet, für das Wohlergehen der Patienten. Aber spätestens seitdem am Dienstag du zahlreichen Mahnwachen und Kerzenlicht-Demos in allen Landesteilen nahmen auch solidarische Mitglieder anderer Gewerk schaften teil. Die Krise des unterfinanzierten „National Health Service“ (NHS), der allen Briten eine Gratis-Krankenversorgung sichern soll, ist mittlerweile so offensichtlich, daß der Streik des Krankenhauspersonals als ultima ratio gegen die konservative Gesundheitspolitik in der Öffentlichkeit große Unterstützung findet. Umfragen zufolge billigen 60 Prozent der Briten die Streikaktionen ihrer „Nurses“; deren Forderung nach mehr Geld für das Gesundheitswesen findet sogar den Beifall von 92 Prozent der Bevölkerung. Dennoch glauben wenige der Streikenden, daß ihre Aktionen und ihre am Mittwoch in Dow ning Street abgegebene Protestnote Frau Thatcher dazu bewegen wird, den NHS-Etat um die jährlich erforderliche Summe von mindestens 1,1 Mrd. Pfund (3,3 Mrd. Mark) aufzustocken. Deswegen sollen dem eintägigen Streik in den nächsten Wochen weitere Protestaktionen folgen.

Erinnerungen an den Streikwinter von 1978

Auch in anderen Teilen der britischen Arbeiterbewegung scheint in diesen Tagen eine neue Militanz ausgebrochen zu sein, von der selbst die Gewerkschaften überrascht sind. So gibt es Anzeichen dafür, daß eine Mehrheit der rund 32.000 Arbeiter der Fordwerke das von ihrer Gewerkschaft verhandelte und am Wochenende empfohlene Lohnpaket ablehnen wird. In den Belegschaften bestehen große Widerstände gegen die schrittweise Einführung neuer Arbeitspraktiken, wie sie von den japanischen Automobilfirmen in ihren britischen Werken bereits vorexerziert werden.

In der Kohleindustrie war es dagegen das mickrige Lohnangebot der staatlichen Kohlebehörde, das mit den Steigern nun selbst die moderatesten aller Kumpel auf die Palme brachte. Der unbefristete Streik der Steigergewerkschaft NACODS, deren Mitglieder für die Sicherheit unter Tage verantwortlich sind, hat seit Wochenbeginn die Produktion in der Hälfte aller Zechen lahmgelegt oder zumindest beeinträchtigt.

Nicht unzureichende Lohnangebote, sondern eine in der Schifffahrtsindustrie drohende Entlassungswelle hat die britischen Seeleute dazu bewogen, in dieser Woche ebenfalls die Klamotten hinzuschmeißen. Sie befürchten, daß der Verlust von 161 Arbeitsplätzen im Hafen von Heysham nur der Beginn einer Serie von Rationalisierungen ist. Die von vielen Reedereien geplanten Ausdünnung der Schiffsbesatzungen, so argumentieren die Gewerkschaften, gefährde die Sicherheit des Fährverkehrs. Da die Seeleutegewerkschaft im Gegensatz zu den Steigern und Automobilarbeitern auf die gesetzlich vorgeschriebene Urabstimmung verzichtet hatte, droht den Gewerkschaftsführern nach einer von den Reedereien erwirkten einstweiligen Verfügung gegen den Streik nun eine saftige Geldstrafe.

Während zwischen Schottland und Nordirland kaum Fähren verkehrten, gab es im kontinentalen Verkehr von der britischen Südküste bisher nur Verspätungen. Vergleiche mit dem „Winter of Discontent“ des Jahres 1978, der schließlich zum Sturz der Labour- Regierung führte, sind angesichts der neuen Streikwelle wohl etwas voreilig. Denn noch scheint die Arbeiterbewegung von ihrer eigenen Militanz noch nicht so recht überzeugt.

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